BLUTIGER FANG (German Edition)
in den Flur gekommen, wo sie tatsächlich hingemacht hatte. Anscheinend hatte sie den Flur unterhalb des Schlüsseldepotkastens zum neuen Katzenklo erkoren, was jetzt ihr Ende bedeutet hatte.
Joel lief zu seiner Katze hin und hob sie auf. Er drückte sie an sich, weinte und schrie Vater hinterher, der mit der Waffe in der Hand schon aus dem Haus rannte.
Joel legte den halb zerfetzten Körper Gretels auf den Boden und lief seinem Vater nach. Hinter sich hörte er Mutter aufschreien, die in den Flur gekommen war und die tote Katze ebenfalls entdeckt haben musste.
Gerade als Joel das Haus verlassen wollte, kam ihm Vater doch wieder entgegen.
Joel versuchte, ihn aufzuhalten, doch der Alte versetzte ihm mit der flachen Hand dermaßen einen Stoß gegen die Brust, dass er rücklings umfiel.
„Wehe, du stellst dich mir noch ein Mal in den Weg, du … du …!“
Zitternd versuchte Joel, sich aufzurichten.
Mutter trat hinzu und half ihm. „Du musst hier weg, Joel! Bitte … geh, bis er sich beruhigt hat.“
Doch er drängte Mutter beiseite und lief entschlossen durch den Flur zurück in Richtung seines Zimmers. Er befürchtete das Schlimmste.
Kaum war er bei der Tür, hörte er drinnen wieder das grausige Knopp, und er wusste, diesmal war Hänsel dran.
Er stürzte ins Zimmer.
Der Kater lag tot auf dem Boden
„Erledigt! Das hätten wir.“ Vater sah Joel in die Augen und grinste.
„Du mieses Schwein!“
„Was, wie redest du mit mir? Hast du keinen Anstand? Ich bin immer noch dein Vater, merk dir das!“ Wieder versetzte der Alte ihm einen Schlag gegen die Brust. Joel knallte mit dem Kopf gegen den Türrahmen, in dem er wie angewurzelt stehen geblieben war.
Er torkelte und die Brille fiel ihm erneut von der Nase, die bereits blutete. Als er wieder voll da war, war Vater schon verschwunden.
Draußen im Flur hörte er grelle Flüche.
Joel beugte sich zu Hänsel hinunter, der über das geöffnete Fenster in sein Zimmer zurückgekommen sein musste und jetzt am Boden lag.
Joel setzte sich neben ihn. Er wischte sich mit dem Ärmel Tränen ab, die er erst jetzt auf seinen Wangen spürte.
Dann hob er den Kater auf. Das Fell war noch ganz warm. Er drückte ihn an sich. Der Kopf des Tieres fehlte. Die Kugel musste ihn völlig zerrissen und abgetrennt haben. Joel hielt den ausblutenden Torso an sich gedrückt und wiegte seinen Oberkörper mit ihm zusammen, so wie man ein Baby wiegt. Tränen tropften auf das Fell, und er gab wie ein trauernder Indianer einen summenden, heulenden Ton von sich.
Lange saß er da. Und er hätte noch viel länger gesessen, wenn ihm nicht Gretel eingefallen wäre, die noch draußen im Flur liegen musste.
Er legte Hänsel vorsichtig auf den Boden – vielleicht konnte er ja noch was spüren –, ging in den Flur hinaus und hob die Katze auf. Er hörte aus der Küche die Stimmen der Eltern kommen, die wüst und laut durcheinander gingen. Aus den Wortfetzen konnte Joel heraushören, dass Vater offenbar nichts Besseres zu monieren hatte als dass ihm jetzt der Appetit vergangen sei.
Joel trottete in sein Zimmer zurück.
Ihn interessierte das nicht mehr.
Er setzte sich mit Gretel im Schneidersitz neben Hänsel auf den Boden und streichelte die beiden Katzen. Aus dem leisen Summen brachen immer wieder Töne wie Sirenen hervor und Tränen, die er mit dem Unterarm abwischte. Nur einmal stand er auf, um seine Brille zu holen, die bei der Tür lag. Dann setzte er sich wieder hin.
Allmählich schaute er von den Katzen auf und blickte im Zimmer umher. Plötzlich sah er die Armbrust an der Wand. Er spürte, wie seine Gesichtsmuskeln zuckten. Joel legte die toten Katzen nebeneinander vor das Bett, stand auf und ging zur Wand hinüber, wo die Armbrust hing. Er nahm sie ab, lud einen Pfeil und ging zur Tür. Dann trat er in den Flur hinaus und hielt auf die Küche zu. Doch allmählich verlangsamten sich seine Schritte. Er hörte seine Eltern immer noch streiten. An der Küchentür kam er zum Stehen. Gerade als er sie aufstoßen wollte, hielt er inne. Was machte er da? Er stand mit der geladenen Armbrust vor der Küchentür und wollte … wollte … was ? Joel schaute zu Boden, schloss seine Augen und atmete tief durch. Dann schlich er ins Zimmer zurück, entlud die Armbrust, hängte sie zurück und setzte sich neben die Katzen.
Er weinte, als er sie streichelte, und fühlte sich plötzlich leer. So ausgehöhlt, und auch das Zimmer, in dem er immer wieder um sich blickte, kam ihm so leer
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