BLUTIGER FANG (German Edition)
die Tüte ins Restaurant werfen sah: Warum soll eigentlich ich die Wächter erledigen, wenn das der Löwe doch viel besser kann?
Bronco spürte etwas Böses, das sich auf sein Gesicht legte und vor dem er selbst erschrak. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er fahrlässig mit dem Tod anderer kalkulierte. Er versuchte, sich zu bremsen, doch der nächste Gedanke reihte sich schon an: Wenn Kramer Recht hat, müsste ich nur dafür sorgen, dass die Wächter ins Restaurant gehen – und dann gibt’s Hackfleisch!
Er blickte die Knabbertüte noch mal an – und wieder grinste er. Ihm schien diese Idee immer besser zu werden, je länger er überlegte. Denn er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er wäre, wenn alles klappte, die Wächter los. Und zum anderen bekäme er Gewissheit darüber, was im Restaurant wirklich vor sich ging. Denn das Brüllen, das sie vorhin gehört hatten, war so weit weg, so unwirklich, dass er die Geschichte Kramers dazu immer noch kaum glauben konnte.
Natürlich könnte er versuchen, die Wächter zu erledigen. Gerade, wenn sie einzeln gehen sollten, hätte er ein leichtes Spiel. Dann aber machte er sich die Finger schmutzig. Würde hingegen der Löwe zuschlagen, könnte es wie ein Unfall aussehen. Denn es gäbe keine Zeugen, die wüssten, welche Rolle er dabei gespielt hätte. All das später zu rekonstruieren, vor allem die zeitlichen Abläufe, wäre kaum möglich. Sollten sie je des Einbruchs überführt werden, könnten sie übereinstimmend behaupten, dass sie erst in das Kaufhaus gekommen wären, nachdem die Wächter schon tot gewesen wären – dann hätte halt der Weihnachtsmann bei seinem Eindringen die Löwen hereingelassen. So wäre und bliebe es Einbruch und kein Mord. Legte Bronco selber Hand an, dann war zumindest die Gefahr gegeben, im Gerangel mit den Wächtern tatsächlich zum Mörder zu werden. Und dieser Gedanke erschreckte ihn doch. Wenn schon Tote, dann bitte nicht er als Verantwortlicher. Außerdem bestand dabei auch immer die Gefahr, dass die Kriminalisten – selbst diese Idioten aus Gehrsdorf – Spuren finden würden, die auf ihn als Mörder hindeuten könnten, wenn es tatsächlich durch die eigene Hand geschähe. So aber würde ihm der Löwe die Arbeit abnehmen und das Stigma des Mörders von seiner Stirn fernhalten.
Gott, wie genial war er doch! Er musste schmunzeln bei der Vorstellung, dass er drauf und dran war, einen ausgewachsenen Löwen zum Komplizen zu machen, der doch höchstens den Verstand eines Fünfjährigen hatte. Doch als Kampfgenosse schien er optimal zu sein. Er war stark, lautlos, schnell, unbarmherzig – und er wusste ja nicht, wozu ihn ein böser, böser Geist hier benutzen würde. Das Tier tat ihm seiner Naivität wegen fast schon im Voraus Leid.
Bronco blickte zum Büro. Obwohl sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er nur wenig erkennen. Die Tür war im Dunkeln. Rechts daneben, an der Wand, begannen die großen Schränke allmählich, Umrisse zu bilden.
Plötzlich hörte Bronco ein Geräusch.
Die Tür des Wächterbüros wurde geöffnet und er sah die Silhouette eines Wachmanns im Türrahmen stehen. Aus dem Inneren des Büros fiel ein fahler, gelblicher Lichtstrahl, der nicht weit kam. Zum Büro waren es aus der Position Broncos etwa dreißig Meter und der Lichtstrahl deckte davon nicht einmal ein Drittel ab – und das zudem in einem schmalen Streifen.
Der Wachmann trat heraus, schloss die Tür hinter sich und jetzt war es dunkel wie zuvor. Plötzlich erhellte der Schein einer Taschenlampe die unmittelbare Umgebung des Wächters, was für Bronco den Vorteil hatte, dass er immer wusste, wo er war.
Er sah, wie der Wächter sich bückte, wieder aufrichtete und sich anschickte, seinen Gang anzutreten, der ihn zuerst nach unten in das Büro des Pförtners führen würde.
Bronco ballte die Fäuste.
Er musste etwas unternehmen – und zwar jetzt!
21
Joel wurde von Linda bewacht, die ihn kaum aus den Augen ließ.
Er atmete schwer und bekam durch den Mund nur mühsam Luft, weil Bronco den Knebel sehr stark angezogen und Joel zudem Probleme hatte, durch die Nase zu atmen.
Linda bemerkte das und lockerte ihm den Knebel etwas.
Joel gab die Versuche bald auf, sich zu befreien. Bronco hatte den Riemen zu fest angezogen und außerdem schien auch Linda entschlossen zu sein, ihrer Aufgabe nachzukommen.
Trotzdem hatte Joel den Eindruck, in ihrer Haltung zeige sich ein Anflug von Zweifel. Sie kämpfte mit sich. Sie
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