BLUTIGER FANG (German Edition)
leicht umzusetzen sei, und vor allem auch an die Konsequenzen gedacht. Dass sie Bronco schließlich doch zunickte, versetzte Joel einen Stoß. Jetzt würde er zwei überzeugen müssen.
„Glaub mir, Linda“, sagte Bronco, der sein unruhiges Hin-und-Hergehen nicht unterbrach, „ich hab mir das überlegt. Wir haben keine andere Möglichkeit. Es macht keinen Sinn, irgendwelche Taschen aus dem Büro zu holen, mein Handy zu suchen oder Frank auf die Schnelle zu verstecken. Unser Problem sind die Wächter. Diemüssen wir in den Griff kriegen – und nicht Frank oder das beschissene Modellauto. Es gibt zu viele Spuren, die sie entdecken könnten und die wir in der kurzen Zeit nicht mehr wegkriegen. Also müssen wir diejenigen beseitigen, die uns hochnehmen können.“
Linda nickte. Sie war offenbar überzeugt.
Joel wunderte sich nicht wenig. Die Klarheit, mit der Bronco die Wurzel des Problems gerade in diesen angespannten Minuten erkannt hatte, beeindruckte ihn. Was ihm aber überhaupt nicht gefiel, war, wie Bronco diese Wurzel auszureißen gedachte. Ihm schwante Übles. Er wusste, dass die Wachleute – gerade die Jüngeren unter ihnen – ziemlich fit waren. Sie hatten Waffen, Handschellen, Funkgeräte, waren trainiert und kannten die Psychologie der Gewalt. Doch Bronco war eben auch kampferfahren. Hatte man ihn als Gegner, sah es schlecht aus. Und genau das beunruhigte Joel.
Gelänge es Bronco, einen Überraschungsangriff zu starten, konnte er die Wächter überwältigen. Dafür hatte er einen Trumpf in der Hand: Die Wächter wussten nicht, dass er überhaupt hier war und in der Dunkelheit auf sie lauerte. Hinzu kam, dass die Sache noch einfacher werden würde, wenn sie einzeln die Rundgänge machten. Joel wusste aus den gelegentlichen Schilderungen seines Vaters, dass dies oft der Fall war.
Es schien klar zu sein, was Bronco vorhatte. Er wollte sie oben am Büro abpassen, bevor sie dazu kämen, den Rundgang anzutreten. Joel war durchaus bewusst, dass das natürlich auch eine Art war, die Wachleute vor dem Löwen zu retten. Was aber genau unter erledigen zu verstehen war, hatte Bronco nicht gesagt. Und ob das so einfach gehen würde, wie er sich das vorstellte, wusste auch keiner. Konnte er sie überwältigen und fesseln, waren sie wenigstens vor dem Löwen sicher. Gelang das nicht oder ging dabei etwas schief, dann …?
Doch hatte Joel auch Angst vor dem eigenen Vorschlag. Denn was hieß: die Wächter warnen? Sollte er hinaufgehen und sagen: ‘Guten Tag, Leute. Ich bin heute Nacht hier eingebrochen und möchte Sie darauf hinweisen, dass im Restaurant ein Löwe sein Unwesen treibt! Also, seien Sie bitte vorsichtig!'?
Wie würden sie reagieren, wenn einer auf diese Tour bei ihnen ankäme? Würden sie ihm glauben? Oder sich doch eher verarscht fühlen? Joel wusste, dass Letzteres der Fall wäre, denn es schien ihm selber so irreal, dass ein Löwe im Restaurant sein sollte. Was für Beweise hatte er denn? Er hatte ein Mal ein Gebrüll gehört, das von den Wänden des Kaufhauses nur so widerhallte. Vielleicht war es aber doch eine Halluzination gewesen. Nach all den Anspannungen wäre das auch kein Wunder. Doch andererseits: Es gab ja noch Frank, der schwer verletzt oder tot im Restaurant lag. Und wo war dieser komische Weihnachtsmann? Waren das nicht Beweise genug?
Während all dieser Überlegungen Joels blieb Bronco in Bewegung. Dann stoppte er plötzlich ab und flüsterte Linda was ins Ohr.
Unvermittelt stiegen in Joel Gedanken auf, die er jetzt als so unpassend empfand wie ein Nein vor dem Standesbeamten. Seine Katzen fielen ihm ein. Deren Schicksal verband er mit dem möglichen des Löwen und erschrocken stellte er fest: Er sorgte sich um ihn. Denn die Wächter warnen hieß auch, den Löwen in Gefahr zu bringen. Er wusste, dass diese Möchtegernrambos keinen Moment zögern würden, von den Schusswaffen Gebrauch zu machen. Dieser Gedanke stellte sich auf eine seltsame Weise quer und schwoll richtig dick an. Er kam sich fast ein wenig pervers vor, ausgerechnet jetzt, wo er, Bronco, Linda und die Wächter durch den Löwen potenziell bedroht waren, dessen Unversehrtheit für ebenso wichtig zu nehmen. Bei dem Gedanken daran, dass der Löwe getötet werden könnte, überfiel Joel jedoch diese Beklemmung, die er auch gehabt hatte, als Vater seine Katzen tötete. Er spürte wieder diesen Abscheu gegen „den Menschen“ und andererseits die Sympathie, ja, Liebe, wenn er an seine Katzen, an Tiere überhaupt,
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