Blutiger Freitag
die Krümel aus den Mundwinkeln.
In diesem Augenblick wurde Maggie klar, wie sehr sie Cunningham vermisste. Seine direkte, aber höfliche Art, die besorgt zusammengezogenen Augenbrauen, vor allem aber diese Aura von Autorität, die ihn stets umgeben hatte. Sie vermisste sogar sein Nörgeln. Kyle Cunningham war über zehn Jahre lang Maggies Mentor gewesen. Und sie hatte so viel von ihm gelernt. Nicht nur, wie man einen Fall bearbeitete, sondern ebenfalls im Umgang mit Kollegen – wann man besser den Mund hielt, worauf man achten musste, wie man sich am besten kleidete. In gewisser Weise hatte Cunningham ihr den Vater ersetzt. Sie empfand seinen Tod fast so, als würde sie ein zweites Mal ihren Vater verlieren.
Natürlich. Sie brauchte keinen Abschluss in Psychologie, um zu wissen, dass sich deshalb ihre Albträume wieder eingestellt hatten. Albträume, in denen sie wieder und wieder die Beerdigung ihres Vaters aus dem Blickwinkel einer Zwölfjährigen durchlebte.
„Es ist zu früh, um das sagen zu können.“ Wurth’ Antwort holte sie vom Sarg ihres Vaters in die Realität des Passagierflugzeugs zurück. Er wich Kunzes Frage nach den Ärabern aus. „Sie wissen, wie das in diesem frühen Stadium ist. Wir sollten uns nicht auf die Aussagen des Sicherheitsdienstes verlassen, wenn wir uns ein exaktes Bild der Vorgänge machen wollen.“
„Warum nicht?“, fragte Maggie und überraschte Wurth mit ihrer provokativen Frage. „Sie verlassen sich doch auch auf die Aussage der Leute, dass es sich um drei Bomben handelt und drei Männer mit identischen roten Rucksäcken existieren.“
Kunze hörte auf zu kauen und beugte sich ein Stück vor, um die Antwort nicht zu verpassen.
Wurth blickte von Maggie zu Kunze, dann zu Senator Foster, der weiter an seinem Martini nippte, aber fragend die Augenbrauen hochzog.
„Im Moment gehen sie davon aus, dass die Explosionen auf das zweite Stockwerk begrenzt waren. Aber da es der Tag nach Thanksgiving ist, war das Einkaufszentrum überfüllt. Schätzungen zufolge hielten sich zwischen Hundertfünfzig-und Zweihunderttausend Menschen in der Mall auf. Je nach Stärke der Detonation, die von jedem einzelnen Sprengkörper ausging ...“ Wurth zuckte die Schultern, um anzudeuten, dass auch er nur schätzen konnte. „Es wurden bisher keine Toten gezählt, falls Sie das wissen möchten. Aber ich kann Ihnen so viel verraten: Die ersten Berichte weisen daraufhin, dass es sich um eine große Zahl handelt. Eine sehr große.“
18. KAPITEL
Mall of America
Asante hatte seine Chance verpasst. Und er hasste unerledigte Fälle.
Voller Wut musste er mit ansehen, wie die junge Frau aus seiner Reichweite verschwand. Wie sie sich noch tiefer in die Menschenmenge zwängte, die sich langsam zum nächsten Ausgang schob. Asante kannte den jungen Typen nicht, der ihr zuwinkte. Es war jedenfalls nicht Dixon Lee.
Hier im Erdgeschoss beherrschten bewaffnete Polizisten das Geschehen. Die Cops versuchten an einem Seiteneingang inmitten der flüchtenden Menschenmassen einen Durchgang für Feuerwehrleute und Sanitäter zu schaffen.
Die richtigen Sanitäter.
Asante widerstand dem Impuls, sich die Kappe vom Kopf zu reißen und sie in die Tasche zu stopfen. Stattdessen imitierte er einfach die Polizisten, indem er die Leute barsch aufforderte, ihm Platz zu machen. Nur dass er in die entgegengesetzte Richtung ging.
Zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde bemühte er sich, so schnell wie möglich zum Hinterausgang zu kommen, ohne zu rennen. Asante schob sich mit den Ellenbogen an einer Gruppe von Leuten vorbei, drängelte sich mitten durch eine andere. Der Notausgang, zu dem er wollte, war nicht markiert. Deshalb kam auch niemand hierher.
Er drückte die schwere Tür auf. Die Alarmanlage, die er vorhin außer Betrieb gesetzt hatte, blieb still. Obwohl das inzwischen mit all dem anderen Lärm schon gar keine Rolle mehr spielte.
Asante duckte sich hinter ein paar Containern, bis er sich sorgfältig umgesehen hatte. Dann ging er hoch erhobenen Hauptes über den Parkplatz. Es herrschte ein zu großes Chaos, als dass ihn jemand beachtet hätte. Inzwischen schneite es noch stärker. Der Wind hatte aufgefrischt. Das Wetter kam ihm unerwarteterweise zugute.
Bevor Asante seinen Wagen erreicht hatte, klemmte er sich den Kopfhörer ins Ohr und tippte eine Nummer in seinen Taschencomputer.
Innerhalb von Sekunden antwortete ihm jemand, diesmal war es eine weibliche Stimme. „Ja?“
„Ich lade zwei Fotos
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