Blutiger Frühling
Klappergestell!«
Der Alte gehorchte mit fahrigen, hektischen Bewegungen, immer wieder angstvolle Seitenblicke auf die blutbespritzten Bauern werfend. »Wollet mir folgen ... mit Verlaub ... Ihr Herren ...«, stammelte er.
Hannes Rebmann hob die Hand. »Ich gehe selbst hinunter«, sagte er, »und ich nehme nicht mehr als sechs Mann mit. Ihr anderen haltet hier oben Wache. Es könnte ja sein, dass die Geflohenen sich Verstärkung holen, und ich möchte nicht überrascht werden ...«
Der Schmiedejörg machte ein ärgerliches Gesicht, aber er verstand. »Ist gut, Hannes«, knurrte er. »Beeil dich nur – damit wir alle miteinander die Keller besuchen können!«
Beifälliges Gemurmel unterstrich seine Worte. Hannes nickte. »Los dann«, sagte er und heftete sich dem Alten an die Fersen, der inzwischen die enge Kellertreppe hinuntergestiegen war.
An den gekrümmten, rau verputzten und gekälkten Wändenbrannten in kurzen Abständen Kienspäne in eisernen Haltern. Ihr flackerndes Licht zeigte ausgetretene Steinstufen, die steil in die Tiefe führten. Die Treppe mündete in ein Gewölbe, dessen massige Kreuzrippen von mehreren plumpen Pfeilern mit Würfelkapitellen getragen wurden. Am hinteren Ende des Kellers waren zu beiden Seiten Verschläge errichtet, aus denen jetzt, da sich die Männer näherten, Stöhnen und Ächzen zu hören waren: »Wasser ... gebt uns Wasser ... !«
Hannes packte den alten Klosterknecht an der Schulter. Der Mann blieb erschrocken stehen und warf den Kopf herum.
»Mach auf«, fuhr Hannes den Alten an. »Lass alle Gefangenen frei. Wir nehmen sie mit uns.«
»Aber ... sie werden frieren«, wandte der Alte ein, »sie haben kaum etwas auf dem Leib ...«
»In eurer Wachstube finden sich schon Mäntel«, grollte Hannes. »Lass sie aus ihren Käfigen!«
Der Alte näherte sich dem ersten Verschlag und fummelte am Schloss herum. Es fiel ihm deutlich schwer, den richtigen Schlüssel herauszufinden. Ein paar Augenblicke sah Hannes Rebmann untätig zu, dann verlor er die Geduld. Wütend entriss er dem Klosterknecht den Bund, stieß den alten Mann beiseite und probierte es selbst.
Doch auch er fand keinen passenden Schlüssel. »Du wolltest uns hinters Licht führen«, brauste er auf und packte den Alten noch einmal im Genick. »Du hast die falschen Schlüssel mitgenommen, betrügerischer Hund!«
»Nein, Herr, nein!« Der Alte war kreidebleich geworden – selbst im flackernden Licht der Kienspäne konnte man das erkennen. »Es ist der Rost, Herr – die Schlüssel werden ja kaum jemals benutzt ... da setzen sie Rost an ... wie auch die Schlösser ...«
Hannes verstärkte seinen Griff. Dem Alten knickten die Beine ein; eine Pfütze bildete sich unter ihm. Der Schmiedejörg stieß ein gehässiges Lachen aus. »Erbärmlicher Feigling«, spottete erlauthals, »was pisst du dir in die Hosen? Noch hast du ja nichts wirklich Schlimmes getan, weswegen wir dich abstechen müssten!«
Er wühlte in seinem Hosensack und förderte einen langen Haken zutage. »Wenn’s mit dem Schlüssel nicht geht, dann hiermit«, fügte er hinzu und nahm sich das sperrige Schloss vor.
Er brauchte nur einen Moment. Dann öffnete sich quietschend die niedrige Tür des Verschlags. Heraus stolperte eine ausgemergelte Hungergestalt in fadenscheinigen Lumpen – ein Mann von etwa dreißig Jahren, der bis auf Haut und Knochen abgemagert war und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. »Der Himmel ... lohne es euch ...«, stammelte der Befreite, »Gott möge es euch vergelten ...«
Im Nachbarverschlag saßen vier Männer, alle um die dreißig wie der Erste, und alle ebenso abgemagert. Auch sie hatten nichts auf dem Leib als dünne, vor Schmutz starrende Leinenhemden und wollene Hosen, die von Löchern übersät waren. Und auch sie stammelten Dankesworte.
Im dritten Verschlag lag jemand, der sich nicht mehr aus eigener Kraft bewegen konnte – ein Mann von unbestimmbarem Alter. Haare und Bart waren ihm schon seit langem nicht mehr geschoren worden und überwucherten jetzt derartig seinen Kopf und seine Schultern, dass nicht einmal mehr seine Gesichtszüge erkennbar waren.
»Wer ist das?«, fragte Hannes Rebmann den alten Klosterknecht.
Der zog den Kopf zwischen die Schultern, als wolle er sich in seinem eigenen Körper verkriechen. »Weiß nicht«, stotterte er, »der liegt schon seit ... seit langem hier unten. Vielleicht hat ihn der Abt ... vergessen ...«
Hannes ballte die Fäuste. »Überleg dir, was du mir
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