Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
zu erkennen, was der Oger versuchte, ihm zu zeigen. Ein dünnes schwarzes Band zog sich in die Höhe. Für Mogda hätte es sonst etwas sein können, doch Negol bestand darauf, Rauch zu sehen. Je näher sie kamen, desto mehr musste Mogda ihm Recht geben. Das dünne schwarze Band tanzte im Wind wie ein Flugdrachen für Kinder. Es war Land - ob es die Rettung war, würde sich noch herausstellen müssen.
Jeder an Bord der Sturmwind wagte einen Blick, und jeder spekulierte darüber, was vor ihnen lag. Nur zwei Seelen an Bord blieben von den Neuigkeiten unbeeindruckt, wobei Mogda bezweifelte, dass einer von ihnen wirklich noch eine Seele besaß. Hagmu, der einäugige Anführer der Kriegsoger, saß immer noch unter Deck. Sie hatten ihn zu dritt in einen anderen Lagerraum geschafft. Obwohl er nicht verletzt war und auch sonst gut bei Kräften, weigerte er sich, auch nur einen Schritt zu tun. Umso erleichterter war Mogda, als er sich widerstandslos zu den anderen gesellte, als man ihn hinführte. Anfangs zierten sich die anderen jedoch, sich neben ihn zu setzen, da sie befürchteten, die Götter würden sie strafen, wie jene unglücklichen Platznachbarn, die beim Zusammenstoß mit dem Eisberg umgekommen waren. Als Mogda sie jedoch mit den leicht zu verstehenden Worten »Aufpassen oder Ausguck« konfrontierte, fiel ihnen die Wahl leicht.
Das andere Besatzungsmitglied, das keinerlei Interesse an ihrer Rettung zu haben schien, war Kapitän Londor. Er stand hinter dem Steuerrad und verzog keine Miene. Mogdas fragende Blicke wurden von Keuchel beantwortet.
»Er hat sich noch nie gefreut, wenn wir wieder in einen Hafen einliefen. Diesmal wird nicht einmal ein Hafen dort sein, und er weiß, dass er das Schiff auf Grund setzen muss, damit wir es bis ans Land schaffen. Die Sturmwind ist manövrierunfähig. Er kann sie nicht aus dem Wind ziehen, und er kann die Segel nicht reffen, ohne dass die Gezeiten mit uns tun, was sie wollen. Und was sie wollen, haben sie uns gezeigt - sie wollen uns auf dem Grund des Meeres sehen.«
Mogda blieb noch so lange mit den anderen auf dem Vorderdeck, bis er sicher war, das Gleiche zu sehen wie alle anderen. Dann wandte er sich ab, überquerte das Deck und nahm wieder seinen alten Platz auf dem Dach der Kombüse ein. Er nahm all seinen Mut zusammen, um Londor anzusprechen. Er brauchte den alten Seebären eigentlich nicht zu fürchten, da ihm Londor wie alle Menschen körperlich unterlegen war, sich geistig nicht mit einem Gelehrten messen konnte und die Armee in seinem Rücken von sieben Mann auf fünf geschrumpft war. Dennoch war ihm nicht wohl zu Mute. Mogda schuldete ihm etwas. Und zwar ein weiteres Schiff, so wie es aussah. Er hätte Londor zur Versöhnung anbieten können, ihm ein neues zu kaufen, doch mit Geld hatten es die Oger nicht so. Als letzte Möglichkeit blieb nur, dem Kapitän eigenhändig ein neues Schiff zu bauen, doch dies würde dessen Hass nur noch weiter schüren, nahm Mogda an. Zumindest, wenn Londor das fertige Schiff erblickte.
»Euer nächstes Schiff solltet ihr anders benennen«, sagte Mogda. »Der Name hat euch nicht sonderlich viel Glück gebracht.«
Londor fuhr herum und funkelte Mogda vorwurfsvoll an. »Es ist nicht die Sturmwind, die mir Unglück bringt. Es sind Namen wie Tabal, Oger und Mogda, die an mir kleben wie die Fliegen auf der Scheiße.«
Mogda konnte ihm seine Worte nicht verübeln. Er hatte den alten Seebären eingespannt, so wie die Götter ihn - oder war selbst Londor ein Teil des göttlichen Plans?
»Wenn ihr euch umblickt, was seht Ihr dann, Londor?«, fragte Mogda.
»Eis, Schnee, ein zugefrorenes Meer, ein Schiff vor dem Untergang und eine Horde Dummköpfe, die glauben, die Götter hielten eine Aufgabe für sie bereit.«
Genau das hätte Mogda vor Jahren auch noch gesehen, doch nun war alles anders. Ihm war gleichgültig geworden, ob die Götter einen Plan hatten oder nicht. Barbaren machten Jagd auf sie, und die Götter schenkten ihnen keine neuen Kinder. Es gab im Grunde genommen nichts zu verlieren, kein Schiff, keine Freunde, und auch kein Leben. Die Welt war so, wie sie war, am Ende angelangt, und mit ihr die Mannschaft. Alles, was ihnen blieb, war ein schmaler Weg, der sich Schicksal nannte.
»Ich sehe noch etwas«, erklärte Mogda. »Die Sturmwind segelt seit zwei Tagen durch diese schmale Fahrrinne. Zu beiden Seiten ist das Meer zugefroren, doch diesem Schiff hat sich keine weitere Eisscholle mehr entgegengestellt, seitdem wir auf
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