Blutmale
das Schlimmste daran war?«, fragte er. »Er starb in der Überzeugung, dass ich ihm nie mals glauben würde. Nach unserem letzten Telefonat hatte ich aufgelegt und zu einem Kollegen gesagt: ›Jetzt ist der Alte wirklich reif für die Nervenklinik.‹«
»Aber heute glauben Sie ihm.«
»Als ich ein paar Tage später nach Neapel flog, dachte ich immer noch, es sei eine willkürliche Gewalttat gewesen. Dass er ein Tourist war, der das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Aber als ich dann auf dem Polizeirevier auf meine Kopie des Berichts wartete, trat ein älterer Herr ins Zimmer und stellte sich mir vor. Ich hatte seinen Namen schon von meinem Vater gehört. Was ich nicht wusste, war, dass Gottfried Baum für Interpol arbeitete.«
»Woher kenne ich den Namen?«
»Er war einer meiner Dinnergäste an dem Abend, als Eve Kassowitz ermordet wurde.«
»Der Mann, der dann zum Flughafen fuhr?«
»Sein Flug nach Brüssel ging noch am selben Abend.«
»Und er ist Mitglied der Mephisto-Stiftung?«
Sansone nickte. »Er war es, der mich damals zwang, ihm zu zuhören, und der mich letztlich überzeugte. All die Geschichten, die mein Vater mir erzählt hatte, all seine verrückten Theorien über die Nephilim - ich hörte sie alle noch einmal von Baum.«
»Eine folie à deux «, sagte Maura. »Eine gemeinsam ausgelebte Wahnvorstellung.«
»Ich wünschte, es wäre eine Wahnvorstellung. Ich wünschte, ich könnte es ebenso leichthin abtun wie Sie. Aber Sie haben nicht die Dinge gesehen und gehört, die ich, Gottfried und andere gesehen und gehört haben. Mephisto kämpft ums Überleben. Nach vier Jahrhunderten sind wir die Letzten, die übrig sind.« Er machte eine Pause. »Und ich bin der Letzte von Isabellas Nachfahren.«
»Der letzte Dämonenjäger«, sagte sie trocken.
»Ich bin keinen Millimeter weitergekommen bei Ihnen, nicht wahr?«
»Eine Sache verstehe ich wirklich nicht. Es ist doch nicht so schwer, jemanden zu töten. Wenn diese Wesen es auf Sie abgesehen haben, wieso schalten sie Sie dann nicht einfach aus? Sie verstecken sich ja nicht. Es genügt ein Schuss durch Ihr Wohnzimmerfenster, eine Bombe in Ihrem Wagen. Wozu dann diese albernen Spielchen mit Muscheln? Wozu warnt
man Sie, wenn man Sie ohnehin schon im Visier hat?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sie sehen aber doch, wie unlogisch das ist.«
»Ja.«
»Und doch glauben Sie immer noch, dass es bei diesen Morden um Mephisto geht.«
Er seufzte. »Ich werde gar nicht erst versuchen, Sie zu überzeugen. Ich will nur, dass Sie überhaupt die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass das, was ich Ihnen erzählt haben, wahr ist.«
»Dass es eine weltweite Bruderschaft der Nephilim gibt? Dass nur die Mephisto-Stiftung und niemand sonst etwas von dieser riesigen Verschwörung ahnt?«
»Unsere Stimme wird inzwischen gehört.«
»Was werden Sie tun, um sich zu schützen? Ihr Gewehr mit Silberkugeln laden?«
»Ich werde Lily Saul finden.«
Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Die Tochter?«
»Finden Sie es nicht merkwürdig, dass niemand weiß, wo sie ist? Dass niemand sie ausfindig machen kann?« Er sah Maura an. »Lily weiß etwas.«
»Wieso glauben Sie das?«
»Weil sie nicht gefunden werden will.«
»Ich denke, ich sollte mit Ihnen hineingehen«, sagte er, »nur um mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist.«
Sie parkten vor Mauras Haus, und durch die Wohnzimmervorhänge konnte sie sehen, dass das Licht brannte - die automatische Zeitschaltuhr hatte die Lampen eingeschal tet. Sie hatte die Zeichnung an der Tür abgewischt, bevor sie gestern das Haus verlassen hatte. Als sie nun in die Dunkelheit hinausstarrte, fragte sie sich, ob in der Zwischen zeit neue Symbole angebracht worden waren, die sie nicht sehen konnte, neue Drohungen, die im Schatten auf sie lauerten.
»Ich glaube, ich würde mich auch sicherer fühlen, wenn Sie noch mitkämen«, gestand sie.
Er nahm eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach, und sie stiegen aus. Keiner sprach ein Wort, beide konzentrierten sich ganz auf ihre Umgebung - die dunkle Straße, das ferne Rauschen des Verkehrs. Sansone blieb auf dem Gehsteig stehen, als versuchte er, den Geruch von etwas zu wittern, das er nicht sehen konnte. Sie stiegen die Verandastufen hinauf, und er schaltete die Taschenlampe ein, um die Tür zu inspizieren.
Sie war sauber.
Im Haus klingelte das Telefon. Daniel? Maura schloss die Haustür auf und trat ein. Sie brauchte nur wenige Sekunden, um ihren Code in das Tastenfeld
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