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Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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diesen mythischen Wesen?« Sie lachte. »Da können Sie auch gleich Einhörner jagen.«
    »Wir sind viele, die daran glauben.«
    »Und was tun Sie, wenn Sie tatsächlich einen finden? Ihn erschießen und sich seinen Kopf als Trophäe an die Wand hängen?«
    »Wir sind ein reiner Forschungskreis. Unsere Rolle ist es, zu identifizieren und zu analysieren. Und zu beraten.«
    »Wen zu beraten?«
    »Die Strafverfolgungsbehörden. Wir liefern ihnen Informationen und Analysen. Und sie arbeiten mit dem, was wir ihnen vorlegen.«
    »Die Strafverfolgungsbehörden interessieren sich tatsächlich für das, was Sie zu sagen haben?«, fragte sie mit unverhohlen skeptischem Unterton.
    »Ja. Man hört auf uns«, war seine ganze Antwort. Die ruhige Feststellung eines Mannes, der sich seiner Sache so sicher war, dass er es nicht für nötig hielt, sie zu verteidigen.
    Sie dachte daran, wie mühelos er an vertrauliche Informationen über Details der Ermittlungen herangekommen war. Und wie Janes Erkundigungen über Sansone beim FBI, bei Interpol und beim Justizministerium auf eisernes Schweigen gestoßen waren. Sie schützen ihn alle.
    »Unsere Arbeit ist nicht unbemerkt geblieben«, sagte er und fügte leise hinzu: »Bedauerlicherweise.«
    »Ich dachte, darum ginge es Ihnen. Dass Ihre Arbeit wahrgenommen wird.«
    »Aber nicht von den falschen Leuten. Irgendwie sind sie auf uns aufmerksam geworden. Sie wissen, wer wir sind und was wir tun.« Er machte eine Pause. »Und sie glauben, dass Sie eine von uns sind.«
    »Ich glaube ja nicht einmal, dass sie existieren.«
    »Sie haben ihr Zeichen an Ihrer Tür angebracht. Sie haben Sie identifiziert.«
    Maura blickte hinaus auf den mondbeschienenen Schnee, der in der Nacht auffallend weiß schimmerte. Es war beinahe taghell. Keine Dunkelheit, keine Deckung. Jede Bewegung einer gejagten Kreatur wäre in dieser unbarmherzigen Landschaft weithin zu sehen. »Ich bin nicht Mitglied in Ihrem Club.«
    »Aber Sie könnten es sein. Sie sind vor meinem Haus gesehen worden. Sie sind mit mir gesehen worden.«
    »Ich war auch an allen drei Tatorten, wo ich lediglich meiner Arbeit nachgegangen bin. Der Mörder hätte mich an jedem dieser Abende bemerken können.«
    »Das hatte ich zunächst auch geglaubt. Dass Sie rein zufällig in sein Visier geraten wären; ein Gelegenheitsopfer. Das hatte ich auch von Eve Kassowitz geglaubt - dass er sie vielleicht an dem ersten Tatort am Heiligabend gesehen und sie sein Interesse geweckt hätte.«
    »Sie glauben nicht mehr, dass es so war?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Die Muschel. Wenn ich eher davon gewusst hätte, dann hätten wir alle Vorsichtsmaßnahmen ergreifen können. Und Joyce wäre vielleicht noch am Leben.«
    »Sie denken, diese Muschel war eine Botschaft für Sie?«
    »Jahrhundertelang sind die Männer der Familie der San-sone unter dem Banner der Muschel in die Schlacht gezogen. Das war eine gezielte Provokation, eine Kampfansage an die Adresse der Stiftung. Eine Warnung vor dem, was uns erwartet.«
    »Und was soll das sein?«
    »Unsere Auslöschung.« Er sagte es leise, als könnte das bloße Aussprechen dieser zwei Worte das Schwert auf sei nen Nacken niedersausen lassen. Aber sie hörte keine Furcht in seiner Stimme, nur das resignierte Eingeständnis, dass dies sein vorbestimmtes Schicksal war. Darauf wusste sie nichts zu erwidern. Das Gespräch war auf ein Gebiet abgedriftet, das ihr fremd war, und sie fühlte sich verloren, ohne Orientierung. Sein Universum war eine derart düstere und trostlose Albtraumlandschaft, dass allein seine Nähe, hier neben ihr im Wagen, ihre eigene Perspektive veränderte, sie in ein unbekanntes Land versetzte, das von Ungeheuern bevölkert
    war. Daniel , dachte sie, ich brauche dich jetzt. Ich brauche deine Berührung, deine Hoffnung und deinen Glauben an die Welt. Dieser Mann ist die personifizierte Dunkelheit, und du bist das Licht.
    »Wissen Sie, wie mein Vater gestorben ist?«, fragte er unvermittelt.
    Aufgeschreckt von seiner Frage, sah sie ihn stirnrunzelnd an. »Wie bitte?«
    »Glauben Sie mir, es ist relevant. Meine ganze Familiengeschichte ist relevant. Ich habe versucht, ihr den Rücken zu kehren. Dreizehn Jahre habe ich am Boston College unterrichtet, habe geglaubt, ich könnte ein normales Leben führen, wie alle anderen. Ich war überzeugt, dass mein Vater bloß ein schrulliger Exzentriker war, dass all die grotesken Geschichten, die er mir erzählt hatte, als ich heranwuchs, nichts als wunderliche

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