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Blutmale

Blutmale

Titel: Blutmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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werden es nicht verstehen.«
    Ich bin still, als wir uns zum Essen an den Tisch setzen. Die Familie schwatzt genug, um keine längeren Pausen aufkommen zu lassen. Sie unterhalten sich darüber, was Teddy heute am See gemacht hat, was Lily gehört hat, als sie bei Lori-Ann war. Und über die prächtigen Tomaten, die sie im August werden ernten können.
    Als wir mit dem Essen fertig sind, fragt Onkel Peter: »Wer hat Lust, zum Eisessen in die Stadt zu fahren?«
    Ich bin der Einzige, der lieber zu Hause bleibt.
    Ich sehe ihnen von der Haustür aus nach, als der Wagen die Auffahrt hinunterrollt. Sobald er verschwunden ist, gehe ich nach oben ins Schlafzimmer meiner Tante und meines Onkels. Ich habe auf eine Gelegenheit gewartet, es zu erkun den. Es riecht nach Möbelpolitur mit Zitronenduft. Das Bett ist fein säuberlich gemacht, doch einige wenige Details - die über einen Stuhl geworfene Jeans meines Onkels, ein Stapel Zeitschriften auf dem Nachttisch - stören die perfekte Ord nung und lassen erkennen, dass hier Menschen aus Fleisch und Blut wohnen.
    In ihrem Bad öffne ich das Arzneischränkchen und finde neben den üblichen Kopfschmerztabletten und Erkältungs mitteln eine Flasche mit einem zwei Jahre alten Rezept, aus gestellt auf Dr. Peter Saul:
    »Valium, 5 mg. Nach Bedarf bis zu 3x täglich eine Tablette gegen Rückenkrämpfe.«
    Es sind noch mindestens ein Dutzend Tabletten in der Fla sche.
    Ich gehe zurück ins Schlafzimmer. Dort öffne ich eine Schub lade und finde heraus, dass meine Tante BH-Größe 36B hat, dass ihre Unterwäsche aus Baumwolle ist und dass mein Onkel Unterhosen mit Eingriff in Größe M trägt. In einer der unteren Schubladen finde ich auch einen Schlüs sel. Er ist zu klein für eine Tür. Ich glaube, ich weiß, wozu er gehört.
    Unten im Arbeitszimmer meines Onkels führe ich den Schlüssel in ein Schloss ein, und die Schranktür springt auf. Drinnen liegt seine Pistole. Es ist eine alte Waffe; er hat sie von seinem Vater geerbt, und das ist der einzige Grund, wes halb er sie behalten hat. Er nimmt sie nie heraus; ich glaube, er fürchtet sich ein bisschen vor dem Ding.
    Ich schließe den Schrank ab und lege den Schlüssel an sei nen Platz in der Schublade zurück.
    Eine Stunde später höre ich, wie das Auto die Auffahrt he rauffährt, und ich gehe hinunter, um sie zu begrüßen, als sie zur Tür hereinkommen.
    Tante Amy lächelt, als sie mich sieht. »Ich finde es ja so schade, dass du nicht mitgekommen bist. Hast du dich sehr gelangweilt?«

14
    Das Kreischen der Druckluftbremsen des Lkw riss Lily Saul aus dem Schlaf. Sie hob den Kopf, stöhnte, als ihr verspann ter Nacken sich bemerkbar machte, und blinzelte mit verschlafenen Augen in die vorbeiziehende Landschaft hinaus. Es dämmerte gerade, und der Morgennebel lag wie ein goldener Schleier auf den sanft ansteigenden Weinbergen und den taugetränkten Obstwiesen. Sie hoffte, dass der arme Paolo und sein Vater Giorgio jetzt an einem solch paradiesischen Ort weilten; wenn irgendjemand den Himmel verdient hatte, dann diese beiden.
    Aber ich werde sie dort nicht wiedersehen. Dies hier wird meine einzige Chance sein, ein Stückchen vom Himmel zu erhaschen. Hier und jetzt. Ein Augenblick des Friedens, umso kostbarer, weil ich weiß, dass er nicht andauern kann.
    »Endlich bist du wach«, sagte der Fahrer auf Italienisch und taxierte sie mit seinen dunklen Augen. Gestern Abend, als er an der Ausfallstraße am Stadtrand von Florenz angehalten hatte, um sie mitzunehmen, hatte sie sein Gesicht nicht genau sehen können. Jetzt, im fahlen Morgenlicht, das durch die Fenster der Kabine fiel, sah sie grobe Züge, eine vorspringende Stirn und ein Kinn mit dunklen Bartstoppeln. Oh, sie wusste den Blick sehr wohl zu deuten, mit dem er sie musterte. Wird das noch was mit uns beiden, Signorina? Amerikanische Mädchen waren locker drauf. Man nahm sie ein Stück mit, bot ihnen ein Dach über dem Kopf, und schon gingen sie mit einem ins Bett.
    Da kannst du warten, bis du schwarz wirst , dachte Lily. Sicher, ein- oder zweimal hatte sie schon mit einem wild fremden Mann geschlafen. Oder vielleicht auch dreimal - immer, wenn eine ungewöhnliche Situation ungewöhnliche Maß nahmen erforderte. Aber diese Männer waren nicht ohne ihre Reize gewesen, und sie hatten ihr das geboten, was sie gerade ganz dringend gebraucht hatte - nicht ein Dach über dem Kopf, sondern die Geborgenheit, die sie in den Armen eines Mannes fand. Eine Chance, sich der flüchtigen, aber

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