Blutportale
»Aber es ist eine Mischung aus verschiedenen Sprachen und Schriften. Das da oben ist Sanskrit, das darunter würde ich als Akkadisch lesen.« Er zeigte auf die Schrift. »Und Latein und Griechisch. Solche Tischler hat man heute nicht mehr, die zuerst Kunstgeschichte sowie Vor- und Frühgeschichte studieren, bevor sie drei Jahre in die Lehre gehen, um das eigentliche Handwerk zu erlernen.« Er bedachte Armin mit einem durchdringenden Blick. »Haben Sie auch studiert, bevor Sie zum Kellner umschulten? Vielleicht Alte Geschichte? Oder ... Anbetungsrituale?« »Sie, also ... Sie kennen sich ja sehr gut aus.« Der Mann stockte, wirkte nun sehr nervös und schob die Hände in die Taschen. »Sie sind vermutlich Professor oder so etwas.« »Nein. Ich lebe schon sehr lange.« Ruckartig zuckte Levantins linke Hand vor und packte Armins Kehle mit festem Griff. »Lass mich an deinem Wissen teilhaben. Du weißt, was sich hinter der Tür verbirgt!« An einem anderen Ort zu einer anderen Zeit hätte er einfach einen Befehl erteilt, und die niedere Kreatur hätte ihm gehorcht. Aber in dieser Welt stand ihm nur ein Bruchteil seiner Macht zur Verfügung, was ihn einmal mehr wütend machte. Sie hätte so vieles erleichtert!
Der Kellner brauchte nur zwei Sekunden, um sich von seiner Überraschung zu erholen, und schlug mit den Fäusten gleichzeitig nach dem Hals und der Nase seines Peinigers. Levantin staunte. Der Mensch wollte ihn tatsächlich angreifen? Er wehrte die Angriffe mit einer Hand ab, was ihm keine Mühe bereitete, ohne die Klammer um den Hals des Kellners zu lösen. Danach versetzte er ihm drei harte, brutale Ohrfeigen, welche die Haut auf den Wangenknochen zum Aufplatzen brachten. »Was ist hinter der Tür?«, herrschte er ihn an und gab seiner Stimme dabei jene besondere Tonlage, die allen niederen Geschöpfen Schmerzen zufügte; kristallklare helle und erdtiefe dunkle Töne überlagerten sich wie bei einem Verzerrer.
Der Kellner wimmerte vor Schmerzen auf und fing an zu beten. Levantin erkannte einen arabischen Dialekt. Einen sehr, sehr alten arabischen Dialekt. Nun war seine Neugier wirklich geweckt.
Er presste den Mann gegen die Wand, streckte den Zeigefinger der rechten Hand aus und drückte ihn leicht gegen den linken Augapfel seines Opfers. »Ich werde dich töten, wenn du mir nicht verrätst, was du hier willst und was dahinter verborgen liegt.«
Erneut griff der Kellner ihn an und spie dabei wüste Verwünschungen aus, was Levantin über sich ergehen ließ; die Hände wehrte er lächelnd ab, die hastigen Flüche verpufften wirkungslos in der Luft.
»Du hast gewählt«, antwortete er im gleichen arabischen Dialekt, was den Mann erstaunt innehalten ließ - genau in dem Moment, in dem Levantins schlanker Finger durch sein Auge stieß. Die dünnen Häute platzten unter der Wucht, und mit überirdischer Kraft fuhr der Finger bis zum Knöchelanschlag in die Augenhöhle, schräg nach hinten, geradewegs ins Gehirn. Es knirschte, weil der Druck auf den zwischen Wand und Faust eingekeilten Schädel dem eines Schraubstocks glich. Der Mann war auf der Stelle tot.
Levantin hielt den Leichnam am ausgestreckten Finger, als wöge er höchstens hundert Gramm, ging zu einer Tür einige Schritte weiter den Gang hinauf und ließ den Mann in dem dahinterliegenden Raum auf den Boden fallen. Das wenige Blut an seinem Zeigefinger wischte er an der Kellnerjacke ab; dann durchsuchte er die Taschen seines Opfers.
Der Inhalt des Geldbeutels gab nur wenig Aufschluss: nichts Persönliches, lediglich achtzig Euro. Aber dafür leuchtete auf dem Display des Handys eine Nummer. Danach erschien der Hinweis 1 neue Nachricht. Eine Ines teilte ihm mit, dass sie gerade im oberen Arbeitszimmer sei.
Dann wollen wir doch mal sehen, ob sie weiß, was es mit der Tür auf sich hat, dachte Levantin und steckte das Handy in die Hosentasche. Den Toten warf er wie einen Sack Lumpen in einen offenstehenden Wandschrank und verließ den Raum.
Als er an der geheimnisvollen Tür vorbeikam, betrachtete er sie eingehend und merkte sich einige der Worte und Beschwörungsformeln darauf. Er spürte, dass hinter ihr etwas verborgen lag, was ihn rief; etwas, das ihm vertraut erschien und ein glückliches Gefühl in ihm auslöste, das er schon lange nicht mehr für möglich gehalten hatte. Wie zum Abschied berührte er die Einlegearbeiten versonnen mit der flachen rechten Hand - und erhielt von ihnen einen Schlag, der ihn ohnmächtig auf dem Gang zusammenbrechen
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