Blutrose
sich, tief durchzuatmen, ihren Herzschlag zu verlangsamen und ihre chaotischen Gedanken zu ordnen. »Der Mann ist eine entsicherte Handgranate«, bemerkte sie.
»Ach, machen Sie sich seinetwegen keine Sorgen«, sagte Karamata. »So früh am Morgen ist er immer reizbar.«
»Mache ich auch nicht«, sagte Clare aufrichtig. »Ich mache mir Sorgen um Mara Thomson. Ihre Mutter hat angerufen, weil sie nicht zu Hause angekommen ist.«
Karamata rührte Zucker in seinen Tee und schüttelte den Kopf. »Wenn wir jeder Meldung wie dieser folgen würden, kämen wir zu nichts anderem mehr. Sie wird ihre Mutter anrufen, sobald ihr das Geld ausgegangen ist.« Sein Handy läutete. Er nickte Clare zu und verschwand in den Gang, wo er eine Maschinengewehrsalve auf Herero in das Handy feuerte.
Clare ließ sich an van Wyks Schreibtisch nieder, um Maras Nummer aus den Fallunterlagen auf dem Gemeinschaftsserver zu ziehen. Sie fand die Nummer sofort und wählte. Mara ging nicht an ihr Handy. Beklommenheit, die schon länger zu leiser Furcht mutiert war, schlug in offene Angst um.
Clare massierte ihre Handgelenke, überlegte, was sie jetzt tun sollte, und starrte dabei auf den Bildschirmschoner auf van Wyks Computer. Sein neu erwachtes Pflichtbewusstsein hatte ihre Neugier angestachelt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er an einer Spesenabrechnung für seine Jagd auf Spyt gefeilt hatte. Sie fasste nach der Maus. Im Dokumentenordner lagen ein paar Fälle, aber als Clare sie anklickte, waren alle leer. Sie rief das Mailprogramm auf, das in der Befehlsleiste am unteren Bildschirmrand minimiert war. Viagra-Spammail, ein paar Memos aus der Zentrale in Windhoek. Routineschreiben von Tamar. Auch im Postausgang war kaum etwas zu finden. Der Papierkorb war frisch geleert. Sie sah in der Liste der zuletzt geöffneten Dokumente nach. Nichts. Clare lehnte sich kurz zurück. Eines blieb ihr noch zu tun. Sie klickte den Verlaufsordner
im Startmenü an. Google. Sie klickte auf den Verlauf im Internet-Explorer. Nur eine einzige Website. Auf der van Wyk einige Zeit verbracht hatte.
Die Homepage war dunkel, fast schwarz. Warnungen vor anstößigen Inhalten wetteiferten mit Bildern von hübschen Mädchen, die den Besucher einluden: »Sieh mir bei meinem ersten Mal zu!« Das also treibt er während der Arbeitszeit, dachte Clare. Ihr Mund war wie ausgetrocknet, als sie auf das Eingangsportal klickte. Die Namen und Bilder von zwanzig halbnackten Frauen erschienen. Amateuraufnahmen aus Vorstadthäusern, Klassenzimmern, Büros. Clare wanderte auf der Seite nach unten. Die Fotos waren aus aller Welt eingestellt worden, aber sie hatten zwei Dinge gemein: die Jugendlichkeit der Mädchen und die subtile Brutalität ihrer Unterwerfung. Man sah Bilder von Mädchen in Büros, Klassenzimmern und Spielzeuggeschäften, am Familientisch oder anderen alltäglichen Plätzen. Ein Klick, und das Mädchen lag nackt da und wurde penetriert.
Clare sah die Bilder durch, aber sie entdeckte nichts, woran die anonym ins Netz gestellten Bilder zu identifizieren gewesen wären. Sie wollte schon aus dem Netz gehen, als ihr ein Link mit Videos ins Auge sprang: Namib Nature Girls . Clare öffnete das erste Video. Es war körnig und offenbar von einer Handkamera heruntergeladen worden, aber trotzdem schlug es ihr auf den Magen. Das war unzweifelhaft van Wyk. Er stand in seiner Uniform mit schief sitzender Kappe und offenem Gürtel breitbeinig hinter einem nackten Körper mit weit gespreizten Schenkeln. Wem van Wyk seine Aufmerksamkeit zukommen ließ, war nicht zu erkennen. Dann wechselte die Einstellung der Kamera auf die Totale.
Clare erstarrte. Der geisterhafte Gestank einer verwesenden Katze setzte sich in ihrer Kehle fest. Der Altar, der Steinkreis, die Lichtung, die umgebenden Bäume. Sie studierte den Körper auf dem Altar genauer. Es war ein Mädchen mit glasigen
Augen, schlaffen Gliedmaßen und einem leeren Lächeln im Gesicht. Die Kleider in einem Haufen auf dem Boden. Sie schien unter Drogen zu stehen. La Toyah oder Minki. Die auf die Höhlenwand gekritzelten Namen. Und Chesney, der dritte Name. Offenbar hatte er die Kamera gehalten. Und es gab noch mehr Videos. Sie klickte sich durch die Site, suchte nach Mara, doch von der war keine Spur zu finden. Jungen gab es genauso wenig. Die Videos waren streng heterosexuell. Clare stieß auf einige angolanische Mädchen, die in der Stadt am Eingang zu den Docks herumhingen und so jung waren, dass der Busen kaum auf den
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