Blutrote Lilien
Ich rannte einfach weiter, ohne wirklich zu wissen wohin. Orson, den ich aufgeschreckt hatte, lief neben mir. Die Diener, die mir entgegenkamen, wichen uns aus, trotzdem stieß ich mit einer Magd zusammen, die wieder einmal Wäsche aus dem Louvre brachte. Sie warf mir böse Blicke zu, doch ich blieb nicht stehen.
Die Treppen, der marmorne Fußboden und die Bilder an den Wänden, bunte Türen und schwere Tapeten, alles wurde zu einem Wirbel, der an mir vorüberzog. Ich wusste nicht, wie weit ich gerannt war oder in welchem Teil des Schlosses ich mich befand, denn erst als meine Beine schwer wurden und mir die Lunge schmerzte, blieb ich nach Luft schnappend stehen. In einer Nische hinter einer Davidstatue ließ ich mich nieder. Dort war ich vor den neugierigen Bediensteten etwas geschützt. Mein Atem kam stoßweise, und mein Herz raste, als wollte es meine Brust sprengen, und immer wieder sah ich de Bassompierre mit dieser Frau vor mir.
Das war also der Mann, den ich heiraten sollte.
Ein Lügner.
Hatte er mir doch geschrieben, dass er keine andere Frau auch nur ansah, seit er mich kannte. Und hatte er nicht gesagt, dass er meine Ehre hochhalten würde, weil er es nicht ertragen könnte, jemals Schmerzen in meinen Augen zu sehen? Wie konnte er mir seine Liebe gestehen und dann mit dieser Frau schlafen?
De Bassompierres Versprechungen waren nichts weiter gewesen als leere Phrasen, schöne Worte, die ihm leicht über die Lippen gekommen waren, aber keine Bedeutung für ihn hatten. Vielleicht war ich gar nicht die Erste, der er sie gesagt hatte.
Dabei hatte ich nicht einmal angenommen, dass er nie mit einer anderen Frau geschlafen hatte, schließlich war er viele Jahre älter als ich, aber ich hatte geglaubt, dass ihm die Verbindung zu mir etwas bedeuten würde. Wie hatte ich mich nur so in ihm täuschen können? In seinem Lächeln?
Vermutlich war es ihm nur um die Verbindung zu meiner Familie und den Einfluss gegangen, den er dadurch gewinnen konnte.
Ein drückender Schmerz machte sich in meiner Brust breit und meine Augen brannten. Aber die Tränen, die ich hinter meinen Lidern spürte, kamen nicht. Reiß dich zusammen, Charlotte , sagte ich mir, das ist deiner nicht würdig .
Orson leckte mir die Hand, als wolle er mich trösten, aber die Scham über meine eigene Schwäche saß tief. Wie dumm war es gewesen, diesem Mann zu glauben, nur weil seine Briefe so kunstvoll geschrieben waren.
Lange saß ich in dieser Nische und nur langsam löste sich der Kloß in meinem Hals und beruhigte sich mein Atem. Müde und erschöpft erhob ich mich irgendwann. Es fühlte sich an wie der erste Tag nach einer Krankheit, wenn einem noch die Glieder schmerzen und eine Mattigkeit den ganzen Körper befällt. Schwerfällig schleppte ich mich den Gang entlang, durch den ich erst kurz zuvor schon einmal gegangen war.
Als ich in unser Appartement zurückkam, schickte ich den Diener, der vor der Tür stand, fort und legte mich erschöpft auf das Bett in meinem Zimmer. Ich wollte nur noch schlafen. Vielleicht würde ich ja aufwachen und feststellen, dass alles nur ein Traum gewesen war.
Als ich erwachte, kam Manon mit einem Bündel Wäsche über dem Arm in mein Zimmer. Verwundert blieb sie im Dämmerlicht stehen.
»Warum habt Ihr am helllichten Tag die Vorhänge zugezogen? Ist Euch nicht wohl?« Nachdem sie keine Antwort erhielt, trat sie ans Bett und streckte die Hand nach mir aus. Vielleicht glaubte sie, ich hätte Fieber.
Müde drehte ich ihr das Gesicht zu und irgendetwas muss darin gestanden haben, denn sie setzte sich neben mich und zog meinen Kopf in ihren Schoß. Ich schloss die Augen wieder, die sich geschwollen anfühlten und schmerzten, während Manon mir über die Haare strich.
»Ach, Lamm«, flüsterte sie. »Das wird vorübergehen.« Sie verzichtete sogar auf die korrekte Anredeform, aber im Moment war mir das herzlich egal. Ihr Trost legte sich wie eine warme Decke über mich, so wie er es immer getan hatte, seit sie bei uns war, und allmählich verschwand der Frost unter meiner Haut und machte einer heißen Wut Platz, die sich langsam ihren Weg durch meine Adern bahnte.
»Wie konnte er das nur tun, Manon?«, fragte ich sie nach einer Weile.
»Du solltest dir darüber nicht so sehr den Kopf zerbrechen«, wich sie mir aus.
Empört fuhr ich auf. »Wie soll ich mich nicht darüber ärgern, schließlich soll ich ihn ja heiraten! Was kann ich ihm noch glauben, wenn er mir von seiner Liebe schreibt und dann ...«
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