Blutrote Sehnsucht
jovialem Ton.
Onkel Thaddeus schenkte ihm ein müdes Lächeln. »Denton ...«, murmelte er. »Wollen Sie mir die Letzte Ölung geben?«
»Unsinn, Mann! Das ist nur eine kleine Schwäche. Wir werden Sie im Nu wieder auf den Beinen haben.«
Ann beobachtete, wie der Doktor das Herz ihres Onkels abhorchte, ihn bat zu atmen und ihm auf die Brust klopfte. Sie konnte nur hoffen, dass er ein Wunder wirken würde. Aber er flößte ihrem Onkel nur einen Löffel eines herzstärkenden Mittels ein. Thaddeus verzog das Gesicht, als er es schluckte. Schließlich erhob sich der Arzt und winkte Ann in die Eingangshalle.
»Er ist schwer krank, Miss van Helsing. Ich will Ihnen nicht die Wahrheit vorenthalten.«
Anns Kehle war wie zugeschnürt. »Können wir denn gar nichts für ihn tun?«
»Dafür sorgen, dass er Ruhe hat, natürlich. Lassen Sie ihn von den Dienstboten in sein Schlafzimmer hinauftragen. Und geben Sie ihm zweimal täglich eine dieser Tabletten.« Er reichte ihr ein Tütchen Pillen.
Ann starrte sie an. Ihre Hand zitterte. Das Papier knisterte. »Was ist das?«
»Eine kristallisierte Tinktur aus Fingerhut.«
»Aber das ist Gift!«, protestierte sie.
»Nur in großen Dosen. Fingerhut regt das Herz an, wissen Sie. Fatal für Sie oder für mich, doch genau das, was Ihr Onkel braucht. Ein Schotte hat seine medizinischen Eigenschaften mithilfe irgendeiner Zigeunerin entdeckt.«
Ann beobachtete seine faltigen Lippen und hörte seine Worte, aber sie konnte nicht ganz verstehen, was er meinte. »Werden sie ihn heilen?«
Dr. Denton lächelte. Es war ein trauriges Lächeln, das, so klein es war, die Falten in seinem Gesicht vertiefte. »Nichts wird ihn heilen, meine Liebe, das könnte einzig ein neues Herz. Es ist nur noch eine Frage der Zeit.«
Ann versuchte zu schlucken, doch nicht mal dazu war sie in der Lage. »Wie ... wie lange noch?«
»Heute Nacht, einen Monat, ein Jahr – wer weiß? Der Herrgott vielleicht, aber ich nicht.«
Ann nahm sich zusammen. »Ich werde natürlich alles tun, was Sie sagen, Doktor Denton.«
»Ich werde morgen früh noch einmal nach ihm sehen.« Der Arzt ließ sich seinen Hut und Stock von Peters geben.
»Jennings wird Sie heimfahren, Doktor. Danke, dass Sie gekommen sind.«
Er nickte nur, als er zur Tür hinausging. Seine Schultern waren gebeugter als bei seiner Ankunft. Ann kam der Gedanke, dass er angesichts des Leidens seines alten Freundes vielleicht sein eigenes unabwendbares Schicksal nahen sah. Es hatte Tod und etwas sehr viel Rätselhaftes in dieser Nacht gegeben. Die Welt schien ein kälterer und viel beängstigender Ort zu sein als noch am Nachmittag. Aber Ann atmete tief durch und kehrte in den kleinen Salon zurück. »Polsham, Peters, lassen Sie uns meinen Onkel nach oben bringen, dann können Sie sich zurückziehen.«
Sie wartete, bis die beiden Männer es Onkel Thaddeus in seinem großen Bett bequem gemacht hatten, und setzte sich dann zu ihm, um bei ihm zu wachen. Irgendwann musste sie jedoch eingeschlafen sein, denn plötzlich sah sie dunkle Augen und breite Schultern vor sich, die ihr den Atem verschlugen und sie aus dem Schlaf auffahren ließen.
Erschrocken blickte sie um sich, doch bis auf die reglose Gestalt ihres Onkels war sie allein im Zimmer.
Wie ein Kompass zum Norden kehrten ihre Gedanken zu dem Fremden zurück, der ihretwegen so mutig den Dorfbewohnern entgegengetreten war. Er war faszinierend und beängstigend zugleich. Ein Rätsel. Und sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sie ihm erneut im Wald begegnen würde ...
4. Kapitel
N ichts. Stephan hatte die große Haupthöhle und mehrere kleine Abzweigungen überprüft, aber nirgendwo auch nur eine Spur der Schwingungen entdeckt, die seine Spezies abgab. Die Vampire, die er suchte, waren noch so jung, dass ihre Vibrationen langsam und selbst für Menschen erkennbar sein würden. Natürlich konnten sie auch draußen auf der Jagd gewesen sein. Doch in der Höhle war kein Blutgeruch gewesen, und davon würde er sogar die schwächste Spur wahrnehmen. Blut ist Leben, wiederholte er sich unwillkürlich die Maxime ihrer Gattung. Diejenigen, die er suchte, waren mit Vampirblut von Kilkenny infiziert, der wiederum von Asharti infiziert worden war. Sie würden für Ashartis Verbrechen bezahlen.
Der Gedanke ließ ihn innehalten. Trugen sie überhaupt die Schuld an ihren Verbrechen? Stephan biss die Zähne zusammen. Natürlich waren sie schuldig. Sie waren wie Asharti, machtgierig und nur auf den eigenen
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