Blutsauger
hören Sie mal«, entrüstete sich die Professorin. »Finden Sie es angebracht, mich ausgerechnet heute, in dieser Situation, so etwas zu fragen? Ich sagte Ihnen doch, ich war hier.«
Linkohr spürte, dass er vorsichtig sein musste, damit die Stimmung nicht kippte. »Es ist leider unsere Pflicht, ein paar Fragen zu stellen. Je schneller das geht, desto schneller sind wir wieder weg.«
»Dann sagen Sie doch gleich, dass Sie von mir ein Alibi wollen!«, keifte die Frau. »Leider hab ich keinen Geliebten, der hier gewesen ist. Aber die Kriminaltechnik wird sicher Mittel und Wege kennen, mein Hiersein bestätigt zu finden.«
»Vorläufig reicht es uns, wenn Sie sagen, Sie seien hier gewesen.«
»Was heißt ›vorläufig‹? Wenn ich daraus schließen muss, dass Sie womöglich den Verdacht hegen, ich hätt einen Blitzbesuch auf Gran Canaria gemacht, dann bitte ich Sie, mir dies direkt zu sagen.« Ihre blauen Augen funkelten gefährlich.
Kerstin sah die Gelegenheit gekommen, einen Vorstoß zu wagen: »Noch eine ganz andere Frage, Frau Brugger. Kennen Sie eine Dame namens Marion von Willersbach?«
Die Angesprochene zuckte mit den Schultern. »Nicht, dass ich wüsste. Wieso fragen Sie?«
Kerstin schwieg, während Linkohr geschickt das vorherige Thema ansprach: »Sie hatten diese Woche keinen Termin an der Uni?«
»Sonst hätte ich mir wohl keine Auszeit nehmen können«, antwortete Brunhilde Brugger genervt. »Halten Sie mich eigentlich für so blauäugig, dass ich nicht merke, worauf Sie hinauswollen? Vielleicht sollten Sie Ihren kriminalistischen Spürsinn walten lassen, dann fiele Ihnen möglicherweise ein, wie man heutzutage feststellen kann, ob und wann eine Wohnung bewohnt war.«
Der Kriminalist sah verlegen und Hilfe suchend zu Kerstin, die jedoch ebenfalls nach einer Antwort suchte.
»Ich kann Ihnen helfen«, trumpfte Frau Brugger auf. »Es gibt mittlerweile intelligente Stromzähler, die registrieren im Viertelstunden-Takt, wie viel elektrische Energie in einem Gebäude verbraucht wird. Da können Sie ablesen, wann Frühstück gemacht oder das Abendessen gekocht wurde.«
Sie hatte recht, durchzuckte es Linkohr. Wenn ihr Haus bereits zu jenen zählte, die mit den neuen Stromzählern ausgerüstet waren, konnte übers Internet die Verbrauchskurve abgerufen werden. Als Naturwissenschaftlerin hatte sie sich offenbar vom örtlichen Stromversorgungsunternehmen bereits ein solches Gerät einbauen lassen.
Linkohr nahm den Hinweis wortlos zur Kenntnis, während in ihm bereits Zweifel über die Beweiskraft aufkamen: Der Stromverbrauch würde nur Auskunft darüber geben, dass jemand in der Wohnung war – nicht aber, um wen es sich dabei handelte. Er wollte im Moment darüber nicht diskutieren, sondern erhob sich, um das Ende des Gesprächs zu markieren. Er bedankte sich für die Geduld, während Frau Brugger und Kerstin aufstanden. »Schöne Bilder haben Sie da«, lobte die junge Polizistin im Weggehen.
Brunhilde Brugger blieb an der Wohnzimmertür kurz stehen und deutete zu den drei Gemälden an der Stirnseite des Raumes. »Eine Freundin von mir ist Künstlerin«, sagte sie stolz. »Sehr erfolgreich übrigens. Hat jetzt wieder zu einer Vernissage nach München eingeladen.«
»Ach, daher die professionelle Aufhängevorrichtung«, lächelte Kerstin und folgte Linkohr in die Diele hinaus. Der Kriminalist vermochte nicht nachzuvollziehen, weshalb sich die Kollegin ausgerechnet in diesem Augenblick mit Kunst beschäftigte.
Häberle musste sich eingestehen, dass es ihm schwergefallen war, sich von Maronn zu verabschieden. Warum ihn ein seltsames Gefühl des Mitleids beschlichen hatte, vermochte er nicht zu sagen. Vermutlich lag es an diesem Gefängnisbau, der an den Strafvollzug vergangener Zeiten erinnerte, als es mancherorts in den Kellern noch Folterkammern gab. Dass von modernem Strafvollzug keinesfalls überall die Rede sein konnte, wusste er auch von deutschen Gefängnissen – sogar von solchen, die sich nach außen hin fortschrittlich gaben. Daran musste er denken, als der spanische Kollege den Seat auf der Autobahn Richtung Süden beschleunigte.
»Ich habe uns angemeldet«, sagte der Comisario und meinte damit den pharmazeutischen Betrieb, den Maronn zwar nicht offiziell als Geschäftsführer leitete, als dessen Chef im Hintergrund er aber für die spanischen Behörden galt. »Es sind noch einige Kollegen da«, fügte Figueras an und beschleunigte auf der Überholspur kräftig. Die Nachmittagssonne
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