Blutschande
professionelle, sachliche Polizistin, sondern auch Mutter zweier kleiner Mädchen.
Als der Rechtsmediziner ihn aus seinen Gedanken riss und zu sich rief, ging Per Roland zur Leiche. Zum ersten Mal sah er Cecilie richtig. Das 147 Zentimeter große und 38 Kilogramm schwere Mädchen lag auf dem Rücken. Ihre Haut war blass und grau mit bläulichen Leichenflecken. Die schönen eisblauen Augen starrten nach oben in die Luft. Sie trug eine hellrote Bluse mit Spitzenkragen, die sauber und ordentlich an ihrem Oberkörper saß, und auch ihre Jeans hatte keinerlei Flecken. Ihre Hände waren noch immer gefesselt. Mit einem Seil, wie man es auf einem Segelboot verwendete.
»Über die Todesursache kann ich noch nichts Endgültiges sagen«, begann der Rechtsmediziner. »Der Leichnam ist gewaschen und sauber. Kein Blut und keine Kratzer. Keine Schuss- oder Stichwunde. Sie hat ein paar punktartige Einblutungen im Auge, die auf einen Tod durch Ersticken hindeuten könnten, aber für ein endgültiges Urteil bin ich mir noch nicht sicher genug. Außerdem zeigt ihr Hals keine Spuren einer Strangulation.«
»Kannst du diese Obduktion vorziehen? Es ist wirklich dringend. Wir können mit der Feststellung der Todesursache nicht bis morgen warten«, sagte Roland und atmete tief in den Bauch.
»Es gibt keine Anzeichen eines Todeskampfes, und sollte es einen gegeben haben, hat der Täter alle Spuren entfernt. Sieh mal hier«, sagte der Rechtsmediziner, hob Cecilies Arme an und deutete auf einen ihrer Fingernägel. »Das sind Seifenreste.«
»Dann hat der Täter ihre Hände und Nägel gereinigt, um Spuren zu beseitigen?«
»Ja, aller Voraussicht nach hat das Mädchen ihn im Todeskampf gekratzt.«
»Ist sie vergewaltigt worden?«, fragte Roland.
Der Rechtsmediziner schüttelte den Kopf.
»Darauf deutet nichts hin. Gar nichts.«
»Dann haben wir es nicht mit einem Sexualverbrechen zu tun?«
»Ich denke nicht. Sie trägt noch ihre Kleider, und ich habe ihren Körper überprüft, er ist unversehrt. Es gibt keine Spuren von Gewalteinwirkung oder einer möglichen Schändung. Auf den ersten Blick könnte sie ebenso gut einen epileptischen Anfall bekommen haben und erstickt sein.«
»Kannst du etwas zum Zeitpunkt des Todes sagen?«
»Nun, wie du siehst, ist die Leichenstarre bereits eingetreten«, sagte der Arzt und zeigte auf ihre Beine. »Die beginnt zwei bis fünf Stunden nach dem Tod, abhängig von der Umgebungstemperatur.« Er zeigte auf ihr Gesicht. »Sie beginnt in der Kiefer- und Halsmuskulatur und breitet sich von dort über den Körper nach unten aus, zuletzt in Arme und Hände. Nach acht bis zwölf Stunden ist sie vollends ausgeprägt.«
»Und das ist sie hier?«
»Ja, das ist sie.«
»Dann ist sie seit mehr als acht Stunden tot?«
»Auf jeden Fall, ja. Die Leichenstarre bleibt ein bis drei Tage unverändert. Bei hohen Temperaturen hält sie am kürzesten. Dann verschwindet sie in der gleichen Reihenfolge, in der sie sich ausgebildet hat.«
»Das heißt, du kannst mit Sicherheit sagen, dass sie nicht länger als drei Tage tot ist?«
»Die Methode ist etwas unsicher, da die Leichenstarre temperaturabhängig ist, aber an ihrem Unterleib sind die ersten Anzeichen einer Grünfärbung zu erkennen.«
Per Roland sah nach unten und ahnte tatsächlich einen Grünton, als der Mediziner die Hose öffnete und die Bluse hochschob.
»Dieser Farbton breitet sich später am ganzen Körper aus, verbunden mit einem durchdringenden, scharfen, unangenehmen Geruch.«
»Den habe ich bereits bemerkt, als ich durch die Falltür nach unten geschaut habe.«
»Ja, die Verwesung setzt langsam ein«, sagte der Rechtsmediziner und zog ihr die Bluse wieder über den Unterleib.
»Wann beginnt die?«
»Normalerweise etwa zwei Tage nach dem Eintreten des Todes.« Per Roland spürte erneut die Haare in seinem Nacken. »Zwei Tage? Sie ist mehr als zwei Tage tot?«
Das passte alles überhaupt nicht zusammen. Hier stimmte doch etwas nicht.
»Ich würde sagen, ja. Vermutlich aber nicht viel länger. Denn dann wäre ihre Haut dunkelrot. In den Weichteilen entwickelt sich Luft, die aufquellend wirkt. Außerdem bildet die bei der Verwesung entstehende Flüssigkeit Blasen in der Haut, die sich schließlich in großen Fetzen lösen. Oft sickert dann auch eine braunrote Substanz aus Nase und Mund. Das ist hier nicht der Fall. Aber sie hat ja auch recht kühl gelegen, wodurch der Prozess verzögert worden sein kann.«
»Was ist mit ihrer
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