Blutschande
Körpertemperatur?«
»Ja, nach dem Eintreten des Todes sinkt die Körpertemperatur, bis sie derjenigen der Umgebung entspricht. Die Temperatur einer bekleideten, nicht abgedeckten Leiche sinkt in Innenräumen um ein bis anderthalb Grad Celsius pro Stunde in den ersten etwa sechs Stunden, danach wird die Temperaturabnahme etwas geringer. Nach etwa 24 Stunden entspricht die Körpertemperatur der der Umgebung. Das ist hier der Fall.«
»Das heißt, dass sie zwischen 24 und 48 Stunden tot ist?«
Roland wurde wieder etwas ruhiger. Das stimmte besser mit den anderthalb Tagen überein, von denen sie ausgingen.
Der Arzt bewegte den Kopf hin und her und verzog den Mund.
»Hm, ziemlich sicher eher 48 Stunden, wenn man den Fortschritt der Verwesung berücksichtigt, schließlich liegt sie recht kühl.«
»Das heißt zwei Tage? Dann reden wir also von Sonntagabend? Sie ist aber doch erst seit Montag früh verschwunden!«
Per Roland war verwirrt.
»Nein, da muss sie schon tot gewesen sein, das ist klar. Ich würde sagen: Sonntagabend zwischen 20 Uhr und Mitternacht.«
»Und da bist du dir sicher? Absolut sicher?«
»Ja, absolut.«
Per Roland nahm sein Telefon und rief Liv an, die gemeinsam mit Max Motor im Präsidium saß und ein Take-away-Essen aß, das sie sich gegenüber im Prøvestenscenter geholt hatten.
»Sind Cecilies Eltern schon da?«, fragte er.
»Ja, die sind unten. Es wird ihnen gerade Blut abgenommen. Danach werden sie zu uns hochgebracht«, sagte sie, den Mund voller Dürümrolle, Kebab und etwas zu viel Soße.
»Es ist an der Zeit, sie etwas unter Druck zu setzen. Die haben uns mehr als eine Lüge aufgetischt.«
10
Als alleinerziehende Mutter zweier Kinder war es für Liv nichts Besonderes, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen. So gelang es ihr denn auch, von Per Roland über die Aussagen der Eltern sowie alle Details über den Fundort und die Leiche gebrieft zu werden, den Bericht über das Verhör von Hans Schultheiss fertig zu schreiben, Ole zu mailen und ihren Exmann am Telefon zu überreden, von morgen Nachmittag an für eine ganze Woche die Kinder zu nehmen. Claus, ihr aktueller Partner, hatte die beiden bereits von Kindergarten und Krabbelgruppe abgeholt und kümmerte sich mehr als gerne um sie, bis Liv wieder nach Hause kam.
Als Cecilies Eltern kurz darauf zur Tür hereinkamen, hatte Liv gerade den letzten Bissen ihrer Dürümrolle mit einem Schluck Wasser heruntergespült, wobei sie sich sehnsüchtig vorgestellt hatte, es wäre ein Bier. Die geliebte Zigarette nach dem Essen musste sie vertagen.
Gemeinsam mit Max führte sie das Elternpaar nach unten in das kleine Vernehmungszimmer, wo sie sich trennten. Liv und Max gingen mit der Mutter in einen anderen Raum, während Carsten Svendsen und Miroslav mit dem Vater redeten. Es war wichtig, dass die beiden ihre Aus-sagen getrennt voneinander machten, damit sie sich nicht gegenseitig beeinflussen konnten.
»Wir verstehen nicht, warum wir verhört werden sollen«, klagte Anne Grethe Junge-Larsen, als sie an dem kleinen Tisch Platz genommen hatte. Liv nahm an, dass ihr Mann in diesem Moment im Raum nebenan exakt das Gleiche sagte.
Die Frage war nur, ob auch der Rest ihrer Aussagen gleichlautend sein würde.
»Nun, das können wir durchaus verstehen, aber dieses Vorgehen ist ganz normal«, sagte Max mit seiner beruhigend sanften Stimme. »Alle, die in den letzten Tagen vor Cecilies Tod Kontakt mit ihr hatten, müssen vernommen werden. Das ist ein wichtiges Element der Ermittlungen. Es ist gut möglich, dass uns ein kleines Detail Ihrer Aussage dazu verhilft, den Täter zu schnappen.«
»Deshalb würden wir auch gerne noch einmal ganz von vorne anfangen«, sagte Liv jetzt. »Und dieses Mal möchte ich Sie bitten, uns gegenüber wirklich ehrlich zu sein. Wir wissen inzwischen nämlich, dass Cecilie seit Sonntagabend tot ist. Und das stimmt nicht ganz mit dem überein, was Sie und Ihr Mann uns bisher aufgetischt haben, nämlich dass sie erst am Montagmorgen verschwunden ist.«
Liv wartete schweigend, damit die Information sich setzen konnte, und beobachtete Anne Grethe Junge-Larsens Gesichtsausdruck. Er veränderte sich. Der steife Blick und die zornigen Falten am Mund lösten sich auf, und die Betroffenheit, bei dieser Lüge ertappt worden zu sein, manifestierte sich in deutlich erröteten Wangen. Liv kannte das so unendlich gut. So viele Menschen logen, um nicht über etwas Unangenehmes sprechen zu müssen. Untreue, zum Beispiel. Wenn
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