Blutschande
ich Sie beide bitten, mit aufs Präsidium zu kommen, damit wir eine DNA-Probe und Ihre Fingerabdrücke nehmen können. Außerdem müssen wir noch einmal mit Ihnen reden.«
»Mit uns? Aber verstehen Sie denn nicht ...?«, weinte Anne Grethe Junge-Larsen und sah ihren Mann fragend an.
»Ich verstehe, dass Ihnen das jetzt unbegreiflich vorkommen muss«, sagte Per Roland. Er wusste nur zu gut, wie unbarmherzig sein Anliegen auf sie wirken musste. »Wie gesagt, ich bedauere Ihren Verlust wirklich sehr, aber es gibt gewisse Prozeduren, die bei einem Mordfall durchgeführt werden müssen, und dieser Fall sieht eindeutig nach Mord aus. Es ist hart, aber wir brauchen Ihre Zeugenaussagen so schnell wie möglich, nicht zuletzt, um Sie beide als Täter ein für alle Mal auszuschließen.«
Anne Grethe Junge-Larsen legte die Hände vors Gesicht und ließ ihren Tränen freien Lauf. Per Roland wartete. Er wusste, dass die Nachricht sich erst setzen musste, und gab ihnen Zeit, ihre Wut, ihre Verzweiflung und all ihren Kummer herauszulassen. Die Trauer eines Menschen ist eine merkwürdige Größe. Sie unterscheidet sich deutlich von Person zu Person. Er sah die Eltern an, die sich in den Armen hielten, und gab ihnen noch ein paar Minuten, bevor er fortfuhr:
»Es tut mir wirklich leid, aber das ist ein Standardverfahren. Alle Angehörigen müssen überprüft werden. Aus Erfahrung wissen wir, dass der Täter bei Kindsmorden häufig aus dem nächsten Umfeld des Kindes stammt. Es ist äußerst selten, dass es sich bei solchen Fällen um einen anonymen Täter handelt, also einen Täter, der sein Opfer nicht kennt. Wenn wir Ihre Daten haben, können wir Sie schneller ausschließen. Das ist ganz einfach.«
Per Roland sah den trauernden Eltern direkt in die Augen. Mit Ehrlichkeit kam man am weitesten, dachte er. Er spürte den Kloß in seinem Hals, als er sah, wie Michael Junge-Larsen seiner Frau über die Haare streichelte und ihr Kinn anhob, damit er ihr in die Augen sehen konnte.
»Wir müssen jetzt stark sein«, sagte er leise. »Für Cecilie.«
Anne Grethe Junge-Larsen saß eine Weile reglos da. Dann nickte sie mit geschlossenen Augen.
»Ja, bringen wir es hinter uns.«
Sie stand auf und stützte sich auf die Schulter ihres Mannes, während sie leise die Treppe nach unten gingen.
»Sie sollten sich darauf vorbereiten, dass es eine Weile dauern wird, bis Sie wieder in Ihr Haus können«, sagte Per Roland, als sie draußen standen. Einer der blauen Kastenwagen der Kriminaltechnik und zwei Streifenwagen waren bereits eingetroffen, und ein Beamter sperrte die Einfahrt mit einem Band ab.
»Wir müssen alle Spuren sichern«, erklärte er. »Und dann müssen wir den Mörder Ihrer Tochter finden.«
Michael Junge-Larsen blieb stehen und sah Per Roland an. Seine Augen wirkten jetzt ganz schwarz.
»Ich zahle jede nur erdenkliche Summe, damit Sie ihn finden«, sagte er mit heiserer Stimme und unterdrückte die Tränen, als er sich auf den Rücksitz eines der Streifenwagen setzte. »Jede Summe.«
Wenn es etwas gab, was Per Roland im Laufe der sechs Jahre in der mobilen Einheit gelernt hatte, dann war das die Tatsache, dass Mörder so unterschiedlich sein konnten wie Tag und Nacht, dass es aber trotzdem möglich war, sie in zwei Gruppen einzuteilen. Die organisierten und die unorganisierten. Jetzt, da er in dem weißen Einwegschutzanzug mit Mundbinde, Haarnetz, Handschuhen und den blauen Plastiküberzügen über den schwarzen Schuhen dastand und zusah, wie die Kriminaltechniker Cecilie aus dem Kriechkeller bugsierten, wusste er, dass sie es in diesem Fall mit einem organisierten Täter zu tun hatten. Mit jemandem, der genug Überblick hatte, um seine Tat zu verbergen. Jemandem, der versucht hatte, keine Spuren zu hinterlassen, aufzuräumen und die Leiche zu verstecken. Und bei dieser Art von Täter hatten sie es häufig gleich mit mehreren Tatorten zu tun. Dann gab es in der Regel einen Kontaktort, einen eigentlichen Tatort und schließlich den Fundort der Leiche. Die zwei ersten galt es also noch zu finden.
Zuallererst stand jetzt aber die Obduktion der Leiche an. Der Rechtsmediziner begutachtete die Tote, und Per Roland nutzte die Wartezeit, um den Rest seines Teams darüber zu informieren, dass sie Cecilie gefunden hatten. Liv war noch stiller und wortkarger als sonst, und nachdem er aufgelegt hatte, ärgerte Per Roland sich über sich selbst. Warum war er einfach so mit der Tür ins Haus gefallen? Schließlich war sie nicht nur eine
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