Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutseele

Blutseele

Titel: Blutseele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Harrison
Vom Netzwerk:
Ahornbaumes, den ich nach dem Tod meines Vaters für ihn gepflanzt hatte, zu den Wolken auf. Mir wurde die Kehle eng, und ich berührte im Vorbeigehen die Rinde. Ich war froh, dass er in Frieden ruhte, aber es wäre schön gewesen, ihn so körperlich zurückzuhaben wie Pierce – selbst wenn es nur für eine Nacht war.
    Pierce blieb zurück, als ich die drei Stufen hinaufstieg und vergeblich den Knauf drehte. »Meine Mom muss gerade unterwegs sein«, erklärte ich und zog meine Tasche nach vorne, um meinen Schlüssel zu suchen. Das Verandalicht war an, und ihre Spuren zeigten, dass sie in die Garage gegangen und noch nicht zurückgekommen war. Vielleicht ein Last-Minute-Einkaufstrip? Oder war sie unterwegs zum I.S.-Hochhaus, um Robbie abzuholen? Ich hatte das üble Gefühl, dass es das Zweite war.
    »Das ist ein sehr schönes Haus«, sagte Pierce und musterte die Nachbarschaft, die hellen Lichter und die Schneemänner, die vor den Häusern Wache standen.
    »Danke«, sagte ich, während ich in meiner Jeanstasche nach dem Schlüssel suchte. »Die meisten Hexen leben in den Hollows, auf der gegenüberliegenden Flussseite in Kentucky, aber Mom wollte hier leben.« Als ich den Schlüssel endlich gefunden hatte, sah ich auf und entdeckte eine gewisse Verwirrung in seinem Blick. »Sowohl sie als auch Dad waren während des Wandels gerade in der Highschool, und ich glaube, es gefällt ihr, unterschwellig Ärger zu machen, wenn sie damit durchkommt – wie zum Beispiel damit, in einem überwiegend von Menschen bewohnten Viertel zu leben.«
    »Wie die Mutter, so die Tochter?«, merkte er trocken an.
    Ich schob den Schlüssel ins Schloss. »Meinetwegen.«
    Erst dann kam Pierce die Stufen hinauf, aber nicht, ohne die Straße vorher noch einmal mit einem intensiven Blick bedacht zu haben.
    »Mom?«, rief ich, als ich die Tür öffnete, aber durch das gedämpfte Licht aus der Küche wusste ich, dass das Haus leer war. Ich sah Pierce an, der noch auf der Türschwelle stand, und lächelte. »Komm rein.«
    Pierce schaute auf den Schneematsch an seinen Stiefeln. »Ich bin nicht gesonnen, die Teppiche zu beschmutzen.«
    »Dann tritt dir die Schuhe ab«, erklärte ich, nahm seinen Arm und zog ihn nach drinnen. »Und mach die Tür zu, bevor die ganze Wärme verschwindet.«
    Ich schaltete das Flurlicht an, und Pierce blinzelte. Ich hasste die grüne Farbe, in der meine Mom den Flur und das Wohnzimmer gestrichen hatte. Bilder bedeckten die Wände bis zur Küche: Fotos von mir und Robbie, Ausschnitte aus unserem Leben.
    Ich warf einen Blick zurück zu Pierce, der immer noch die Lampen anstarrte, sich aber offensichtlich bemühte, nichts zu sagen. Ich unterdrückte ein Lächeln und fragte mich, wie lange er es noch aushalten würde, nicht beeindruckt zu wirken, und wann seine Neugier die Oberhand gewinnen würde.
    »Ihr habt so viele Teppiche«, sagte er schließlich und ahmte meine Bewegungen nach, als ich mir die Füße abtrat.
    »Danke«, sagte ich und zog meinen Mantel aus.
    Endlich erreichte sein Blick die Wände, und er streckte eine Hand aus. »Und Fotografien. In Farbe.«
    »Du kennst Fotos?«, fragte ich überrascht, und er nickte.
    »Ich habe mich fotografieren lassen«, sagte er stolz, dann berührte er einen Rahmen. »Seid Ihr das? Es ist wunderschön«, sagte er voller Ehrfurcht. »Die Miene, die der Künstler eingefangen hat, ist atemberaubend. Keine von Gottes Landschaften sah jemals so schön aus.«
    Ich sah kurz auf das Bild, das er so ehrfurchtsvoll be rührte, und wandte dann den Blick mit gemischten Gefühlen wieder ab. Es war eine Nahaufnahme meines Gesichts vor Herbstlaub. Meine Augen waren so grün und lebendig wie die Schöpfung, und meine Haare verstärkten noch die Herbstschattierungen der Vegetation um mich herum. Ich war damals gerade erst aus dem Krankenhaus zurückgekommen, was man an meinem dünnen Gesicht und meiner bleichen Haut erkennen konnte. Aber mein Lächeln machte mich wirklich schön, das Lächeln, das ich meinem Dad geschenkt hatte, als er auf den Auslöser drückte; ein Dankeschön für die Freude, die uns ein einfacher Tag bereitet hatte.
    »Mein Dad hat es gemacht«, sagte ich, ohne es anzusehen. »Komm in die Küche«, meinte ich dann und wischte mir die Augen, bevor er bemerkte, dass sie feucht waren. Ich hätte vor ihm sterben sollen, nicht andersrum.
    »Ich weiß nicht, wie lange meine Mom unterwegs sein wird«, sagte ich laut, als ich seine Schritte hinter mir hörte. »Aber wenn wir uns

Weitere Kostenlose Bücher