Bluttrinker (German Edition)
Segeln zu nehmen. -
Nein, Tony. Wir haben nur die Wochenenden zusammen. Ich finde, das ist hart
genug. Auch ohne dass deine Mutter dich zur Verzweiflung treibt. Ich möchte,
dass du in unserer gemeinsamen Zeit entspannt und gut gelaunt bist. Nenn mich
ruhig einen Egoisten. Ich habe vor, dafür zu sorgen, dass deine Mutter uns in
Ruhe lässt. Was hältst du davon?“
Tony seufzte und schüttelte den Kopf.
„Ich kann das nicht, Lukas. Es tut mir leid! Ich weiß, ich bin erwachsen und
sollte meiner Familie sagen, dass sie das alles nichts angeht. Aber ...“
„So einfach ist es nicht, das versteh ich schon. Das wird vielleicht auch gar
nicht nötig sein.
Okay“, bestimmte Lukas. „Von jetzt an gehst du nicht mehr an dein Handy.“
Er nahm das Gerät vom Tresen und schaltete es aus.
„Am Montag kaufst du dir ein Neues. Ruf deine Freundinnen an und gib Ihnen
deine neue Nummer. Sag Ihnen, dein altes Handy ist kaputt oder geklaut. Aber du
wirst die Nummer nicht deiner Mutter geben.“
„Wenn sie es ein paar Mal versucht hat, wird sie auf dem Festanschluss anrufen.
Es tut mir leid, dass ich ihr die Nummer gegeben habe …“
Lukas Kopfschütteln brachte sie zum Schweigen.
„Natürlich wird sie das. Aber du gehst nicht ran. Von jetzt an werde am
Wochenende nur ich das Telefon abnehmen.“
„Was willst du ihr denn sagen?“ Tony klang besorgt.
„Das weiß ich noch nicht. Das hängt von deiner Mutter ab.“
Er dachte einen Moment nach.
„Ich finde, wir sollten deine Eltern für nächsten Samstag zum Essen einladen.
Vielleicht auch deine Geschwister.“
„Was?“
„Selbstverständlich werden meine Eltern auch kommen. Ich finde es an der Zeit,
dass die Schwiegereltern einander kennenlernen.“
„Was hältst du davon, wenn wir das noch ein paar Wochen aufschieben? Nur so
lange, wie ich brauche, um nach Australien auszuwandern.“
Lukas lachte. „Hast du Angst, Johann und Nora könnten dich blamieren?“
„Nein“, Tony schien einer Panik nahe, „ich weiß, Margarethe und Alfred werden
mich blamieren.“
Er nahm Tonys Gesicht in seine Hände und zwang sie ihn anzusehen.
„Du hast vorhin erwähnt, deine Mutter würde niemals etwas Unbedachtes sagen.
Nun, dasselbe kann man von Nora auch behaupten. Oberflächlich hört es sich oft
an, als würde sie eine Menge Unsinn plappern, aber eigentlich ist das nur eine
Masche von ihr.“
„Das ist mir aufgefallen.“
„Wenn es jemanden gibt, der deiner Mutter verbal gewachsen ist, dann ist das
Nora. Außerdem ist sie unschlagbar, was den Umgang mit frömmelnden Zeitgenossen
angeht. Deshalb hätte ich sie gern dabei, wenn wir die Löwen in unsere Höhle lassen.“
Tony wand sich unbehaglich.
„Ich kann doch deine Eltern nicht meine Familienprobleme lösen lassen. Du weißt
nicht, wie meine Mutter auf irgendwelche Einmischungen reagiert. Sie wird
sofort vermuten, dass ich Nora vorschicke …“
„Tony, du kannst es deiner Mutter nicht immer recht machen. Das weißt du doch?
Oder bist du bereit, ein Leben zu führen, wie es die Zustimmung deiner Mutter
finden würde?“
„Darauf kommt es gar nicht an. Ich versuche seit zwanzig Jahren, es meiner
Mutter recht zu machen. Das Problem ist, das ich ihr nicht recht bin.“
„Dann hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst es weiterhin versuchen, oder du
kannst ihr klarmachen, dass du dein eigenes Leben lebst.“
29
Durch die offene Terrassentür drangen Stimmengewirr und
quitschige Karussellmusik herein. Der Weihnachtsmarkt war in vollem Gange.
Vielfältige Gerüche erfüllten die kühle Luft. Es war Samstag und die Sonne
bereits untergegangen. Pünktlich um 17:00 Uhr ertönte die Türklingel.
Tony ignorierte, wie sich der harte Klumpen in ihrem Magen
in schmerzhaftes Stechen verwandelte und ließ die breite Schiebetür ins Schloss
gleiten. Sie hörte Lukas in die Gegensprechanlage sprechen und die Wohnungstür
öffnen. Nach ein paar Minuten öffneten sich im Treppenhaus die Aufzugtüren.
Tony riss sich von der Silhouette der beleuchteten Burgruine los.
Zeit, ihren Eltern gegenüberzutreten!
„Guten Abend. Herzlich willkommen. Ich bin Lukas Trautmann.“
Lukas schüttelte Tonys Eltern formvollendet die Hände und nahm ihre Mäntel
entgegen.
Tonys Mutter war eine große, schlanke Frau mit dezent blond
gefärbtem Haar und tiefen Falten um die schmalen, verkniffenen Lippen. Lukas
Anblick verblüffte sie dermaßen, dass sie vergaß, sich selbst vorzustellen.
Er trug eine schwarze Stoffhose und ein in seiner Schlichtheit elegantes
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