Blutzeichen: Deadly Sins 2 - Roman (German Edition)
sie wussten auch, dass sie lebendig war.
Ein Geist kam auf sie zu. Es war ein Mädchen, ungefähr dreizehn oder vierzehn Jahre alt, und es wirkte traurig.
Warum bist du hier? , fragte es Julie.
Ich passe auf den Mann dort auf. Er ist in Gefahr. Sie wies zu Grant, der sich mit einer zierlichen kleinen Schwarzen unterhielt. Julie war froh, dass er noch atmete.
Das Mädchen sah hin und runzelte die Stirn. Er stirbt .
Julie fröstelte und wäre gern zu Grant geeilt. Woher weißt du das?
Schau hin. Du musst auf die Farben achten. Er ist dunkel, das heißt, dass er stirbt.
Julie glaubte dem Mädchen. Warum bist du noch hier?
Das Mädchen blickte sich unter den anderen Erscheinungen um. Ich weiß nicht. Ich bin schon eine ganze Zeit hier. Meine Leiche liegt in dem anderen Raum.
Das Mädchen bewegte sich, und Julie entdeckte die Kühlwand. An einem der Fächer hing ein kleines Schild:
N. N.
Sie wissen nicht, wer du bist.
Traurig schüttelte das Mädchen den Kopf.
Trifft das auf alle hier zu?
Nein. Die meisten Geister kommen und gehen. Sie hängen an ihren Körpern, können sie wohl nicht verlassen. Wenn ihre Leiche geht, sind sie auch weg. Und viele von den Leichen, die hierherkommen, haben keine Geister bei sich. Ich habe keine Freunde mehr. Ich möchte weg, aber ich weiß nicht, wie. Ich habe Angst. Kannst du mir helfen?
Ich versuch’s. Was soll ich machen?
Das Mädchen sah aus, als würde es jeden Moment anfangen zu weinen. Weiß ich nicht.
Wenn ich wieder in meinem Körper bin, überlege ich mir etwas, okay? Julie hatte keinen Schimmer, ob sie überlebte, und noch viel weniger, wie sie dem Mädchen helfen könnte, Frieden zu finden. Aber sie würde es versuchen. Wie ist dein Name?
Das Mädchen strahlte. Das hat mich noch keiner gefragt. Ich bin Amy Carney.
Ich bin Julie.
Übrigens, die anderen hassen dich.
Ich tue ihnen nichts.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. Das ist ihnen egal. Du bist lebendig, sie sind’s nicht. Ich bin es auch nicht. Ich weiß nur nicht, wieso ich nicht wegkann. Ich weiß nicht, wieso ich nicht in den Himmel komme. Ist es, weil ich böse bin?
Natürlich nicht.
Dieses Mädchen konnte unmöglich auch nur einen Bruchteil von dem getan haben, was Julie auf sich geladen hatte. Nun jedoch wollte sie alles wiedergutmachen, angefangen damit, dass sie Grants Leben rettete.
Du musst gehen, bevor er dich sieht.
Meinte sie Grant? Julie blickte zu ihm. Er betrachtete Nadine Ansons Leiche. Ein Beben ging durch Julies körperlose Gestalt.
Er hat dich gesehen, Julie. Geh! Schnell!
Julie begriff nicht, wovon Amy redete, aber alle Geister verschwanden, einschließlich Amy. Alle Geister bis auf einen.
Er war ein Mann, alt und krumm, und er starrte sie an. Für einen Augenblick war sie wie erstarrt, aber dann fragte sie sich, was ein Geist ihr schon tun konnte.
Mein , sagte er.
Julie wartete lieber nicht ab, was geschehen würde. Was immer er glaubte tun zu können: Sie war verwundbar. Der Geist konnte sie sehen und sie sich nicht verteidigen. Sie schwebte auf, wollte hinaus, doch der Geist rauschte auf sie zu. Julie flog, so schnell sie konnte, aus dem Gebäude. Der Geist folgte ihr.
Mehrere Blocks entfernt hörte sie auf zu fliegen. Hier glaubte sie sich in Sicherheit, und sie musste sich erholen, weil sie fürchtete, zu viel Energie verbraucht zu haben. Sie musste sich beruhigen, denn sie brauchte Kraft, um mit Grant zu kom munizieren.
Dann fühlte sie, wie der Geist näher kam.
Mein.
Seine eisige Dunkelheit legte sich wie eine Schlange um Julie, drückte sie, wollte seine Todesenergie mit Julies lebender Aura vermengen. Sie trieb hilflos und verängstigt hin und her.
Ihre Furcht nährte ihn offenbar, und wieder flüsterte er finster: Mein.
Nein! Sie bündelte ihre übersinnlichen Kräfte, setzte all ihre magische Stärke ein und wehrte den bösen Geist ab. Wie ein Katapult schoss er ins Leichenschauhaus zurück, zu dem Ding oder Körper, mit dem er verbunden war.
Julie trieb geschwächt zur Erde hinab. Sie hatte nicht geahnt, was ihr in der Gerichtsmedizin begegnen würde oder dass die Toten sie sehen konnten. Es kam ihr unmöglich vor, das war es aber offenbar nicht. Was hatte sie nicht schon alles für unmöglich gehalten, das sie heute ohne Weiteres tun konnte? Nichts war unmöglich. Sie könnte alles tun, alles sein.
Und dennoch war sie nichts, wenn sie nicht in ihren Körper zurückkonnte.
Sie wagte sich nicht noch einmal ins Leichenschauhaus. Statt dessen schwebte
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