Blutzeichen: Deadly Sins 2 - Roman (German Edition)
wie gut man sich als Jugendliche wirklich kennt.
Und so verrückt es war, hatte gerade ihre Begeisterung für die Fotografie sie in die Leichenhalle geführt. Im Rahmen einer Auftragsreportage mit dem Titel »Ein Tag im Leben« hatte sie einen Pathologen mit der Kamera begleitet. Don Takasugi hatte sich an dem neunmalklugen schwarzen jungen Mädchen mit dem Nasenring gestört, das in seinem Labor herumknipste, auch wenn er der Reportage für das Pierce College zugestimmt hatte. Seinen Unmut tat der Gerichtsmediziner kund, indem er nichts ausließ, um Fern zu schockieren.
Statt abgeschreckt zu sein, hatte Fern ihre wahre Berufung gefunden. Bei aller Schroffheit und Ablehnung, die Don ihr gegenüber an den Tag legte, hatte sie auch sein Mitgefühl und seine Achtung vor den Toten bemerkt, und die erinnerten sie an ihren Grandpa T-Rex – ein Spitzname, den ihm sein Temperament und seine Statur eingetragen hatten. Auch ihr Grandpa war fies wie ein Pitbull, und zugleich pflegte er ihre todkranke Großmutter voller Liebe und Aufopferung.
Die Woche darauf hatte Fern sich zu einem Praktikum in der Gerichtsmedizin angemeldet. Sie machte einen College-abschluss in Humanbiologie, und ein Jahr später stellte Don sie ein. Er versuchte nach wie vor, sie mit seinem schwarzen Humor zu verschrecken, und obwohl er ihr gnadenlosester Kritiker war – was ihren Job wie ihre Fotografie betraf –, wusste sie, dass sie sein Liebling war.
»Was machen Sie da?«, riss Don sie jäh aus ihren Gedanken.
Fern zuckte zusammen und hätte beinahe die Kamera fallen gelassen. Sie stand im Aufnahmesaal der Leichenhalle, wo sie die neueste Leiche fotografierte, die vor ihr auf einer Rolltrage lag. »Er ist gerade reingekommen. Die Ehefrau fand ihn nackt im Schlafzimmer vor, anscheinend nach einem nächtlichen Techtelmechtel.«
»Ich meine, was machen Sie mit der Kamera?«, fragte er, als hätte sie ihn nicht richtig verstanden, dabei gab er ihr Zeit, sich eine plausible Lüge auszudenken.
»Ich …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Es ist das Mutter mal.« Sie wäre selbst dann außerstande gewesen zu lügen, wenn ihr Leben davon abhängen würde. Ihre Mama sagte ihr immer, dass ihre Haut dunkler würde, wenn sie log. Fern wusste zwar nicht, wie das gehen sollte, denn ihre Haut war von Natur aus schon reichlich schwarz, aber ihre Mama schien es dennoch jedes Mal zu erkennen.
»Was ist damit?«
»Es ist fast genau das gleiche Mal wie bei dem Mann, der gestern Morgen gebracht wurde, und wie bei dem, der Freitagnacht kam, der mit dem Gehirn.«
»Das Gehirn« stellte einen faszinierenden Fall dar, denn Don hatte noch nie einen solch vergrößerten Hirnstamm gesehen. Und wenn Don so etwas noch nie gesehen hatte, dann Fern erst recht nicht. Die Leiche war eingeäschert worden, aber das Gehirn lagerten sie in einem Nebenraum im Erdgeschoss, damit der Neurospezialist es sich ansah, der zweimal monatlich kam, um ungewöhnliche Gehirne zu untersuchen, vor allem genetische Anomalien.
»Das gleiche Muttermal?«, wiederholte Don skeptisch. »Wir hatten hier gestern Dutzende von Leichen.«
»Siebenundvierzig«, sagte Fern sofort. »Und ich dachte zuerst, eben weil ich es schon vorher gesehen hatte, dass es ein Tattoo ist. Also?«
»Es muss sich um eine Tätowierung handeln«, überlegte Don. »Identische Muttermale sind sehr unwahrscheinlich.«
Wohl eher ausgeschlossen. Fern hielt ihm die Rückseite ihrer Kamera hin und blätterte durch die Aufnahmen, bis sie das Muttermal vom »Gehirn« hatte, bevor er ins Krematorium wanderte. »Sehen Sie?« Sie stellte den Apparat neben der Leiche ab.
Der Pathologe runzelte die Stirn. »Prüfen Sie die Stelle auf Tinte!«
»Schon geschehen.«
Er schaute sie streng an. »Wie? Davon steht nichts im Bericht.«
»Erinnern Sie sich an das Memo, das wir vor zwei Wochen bekamen?«
»Drücken Sie sich klarer aus, Miss Archer!«
Innerlich schrumpfte sie zusammen, weil er so verärgert klang. »Von der Gerichtsmedizin in Santa Louisa – dass wir ihnen Bescheid geben sollen, sowie Leichen mit ungewöhnlichen Muttermalen eingeliefert werden. Sie hatten ein Foto angehängt.«
»Das war nicht das gleiche Bild.«
Nicht ganz, nein, aber Fern kam es zu komisch vor. Und die Tatsache, dass Don sich so gut an das Bild erinnerte, bedeutete, dass er die Sache ebenfalls bizarr fand. »Haben Sie jemals so ein Muttermal gesehen? Ein auch nur annähernd ähnliches?« Sie sah ihn mit jenem Blick an, den ihr Daddy ihren »Ja,
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