Bodenlose Tiefe
würde mir gut tun.«
»Und? Hat es Ihnen gut getan?«
»Es war nicht unangenehm.« Sie wandte sich ab. »Warum reden wir überhaupt darüber? Sie haben mein Angebot doch sowieso abgelehnt.«
»Weil ich mir ganz sicher bin, dass es irgendwann passiert wäre. Ich bin genauso wie all die anderen Scheißkerle, die Sie ficken wollten. Verdammt, ich würde es immer noch gern tun.«
Er drehte sich auf dem Absatz um und ging auf die Terrassentür zu. »Worauf ich, nachdem Sie mir diese Geschichte erzählt haben, richtig stolz bin. Aber keine Sorge: Ich werde damit umgehen, wie Ihre Freundin Carolyn mir geraten hätte.«
»Was soll der Blödsinn? Sie sind nicht wie diese Männer im Kafas. «
»Ach nein? Wir haben mindestens eins gemeinsam und das ist auf keinen Fall unsere Selbstbeherrschung.«
Er verschwand im Haus und schloss die Tür hinter sich.
Einmal mehr hatte er sie verblüfft. Sie war sich nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber mit dieser Reaktion hatte sie jedenfalls nicht gerechnet. Eine Mischung aus Mitgefühl, Wut und sexuellem Frust. Sein Ausbruch hatte sie aus dem Schrecken der Vergangenheit in eine turbulente Gegenwart katapultiert.
Aber sie war auch erleichtert. Außer mit Carolyn hatte sie noch nie mit irgendjemandem über ihre Vergangenheit gesprochen und Kelby vom Kafas zu erzählen hatte eine seltsam kathartische Wirkung. Sie fühlte sich gestärkt. Vielleicht, weil Kelby kein Arzt oder Psychologe, sondern ein ganz normaler Mensch war. Vielleicht hatte sie immer noch einen Rest von Schuldgefühlen gehabt, von denen Carolyn sie hatte befreien wollen.
Aber er hatte nicht ihr die Schuld gegeben, sondern den Männern, die sie missbraucht hatten. Ihre Geschichte hatte seinen Beschützerinstinkt geweckt, sie hatte ihn wütend gemacht und … geil. Irgendwie war ihr seine Geilheit ganz willkommen, denn sie bewies, dass er sie trotz allem, was er nun wusste, immer noch begehrte.
Er hatte diesen Abschnitt ihres Lebens als Teil von ihr akzeptiert. Selbst seine Wut hatte etwas Beruhigendes, weil sie bedeutete, dass er offenbar glaubte, sie hätte die Sache im Griff.
Wer hätte gedacht, dass Kemals Anruf ihr diesen unerwarteten Seelenfrieden bescheren würde?
Kemal oder Kelby? Kemal hatte ihr Wärme gegeben, Kelby hatte ihr Wut gegeben und sie war sich nicht sicher, was wichtiger gewesen war.
Aber eins wusste sie: Wenn das Telefon wieder klingelte und sie Archers Stimme hörte, würde sie wesentlich besser gewappnet sein.
»Halley hat Dansk und Cobb vor ein paar Minuten abgeholt«, sagte Nicholas, als Kelby ans Telefon ging. »Soll ich hier in der Stadt noch irgendwas erledigen oder auf die Insel zurückkommen?«
»Komm zurück. Ich muss für eine Weile von hier weg.«
»Du klingst gestresst. Läuft irgendwas schief?«
»Wie kommst du auf die Idee? Die Insel ist so eine wunderbare, friedliche Welt voller liebenswürdiger Menschen, dass einem vor Freude die Tränen kommen.«
Nicholas pfiff leise durch die Zähne. »Ich bin in einer Stunde da. Ist das schnell genug?«
»Das muss es wohl.« Kelby legte auf, verließ das Haus und ging auf den Steg hinaus. Nicholas konnte gar nicht schnell genug herkommen, dachte er. Er wusste nicht wohin mit seinem Gefühlschaos und stand kurz davor zu explodieren. Er musste raus aufs Wasser, durch die Wellen pflügen und seiner Wut und seinem Frust Luft machen.
Was er nicht kontrollieren konnte, musste er hinter sich lassen.
Auf den Torbogen zuschwimmen …
Nein, das würde nicht funktionieren. Er durfte Melis nicht mit Marinth gleichsetzen. Sie war der Schlüssel, nicht das Ziel.
Also setzte er sich auf den Steg und wartete auf Nicholas.
Und versuchte, nicht an ein kleines, blondgelocktes Mädchen in einem Organzakleidchen zu denken.
»Ich weiß, dass ihr das nicht versteht«, flüsterte Melis Pete und Susie zu, die in ihrem abgesperrten Bereich schwammen. Die Delphine waren zweifellos unglücklich und fühlten sich nicht wohl mit der Absperrung, die Cal vor ein paar Tagen in der Nähe der Veranda errichtet hatte. »Ich wünschte, ich könnte es euch erklären.«
»Können Sie das nicht?«, fragte Kelby hinter ihr.
Als sie sich umdrehte, sah sie ihn auf sich zukommen.
Er war den ganzen Tag weg gewesen, aber offenbar kam er gerade aus der Dusche, denn seine Haare waren nass.
Er war barfuß, sein Oberkörper war nackt und er wirkte leicht verwegen. »Wie meinen Sie das?«
»Ich hätte fast geglaubt, dass Sie mit ihnen sprechen können, so eng, wie
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