Bodenlose Tiefe
gerade begeistert von dieser Buddelei«, sagte Pennig durch zusammengebissene Zähne, als er seinen Spaten erneut in die Erde hieb. »Wenn ich im Straßenbau hätte arbeiten wollen –« Er hielt inne. »Ich glaube, ich bin auf was gestoßen.«
Archer trat näher. »Graben Sie weiter, verdammt!«
»Ich mach ja schon.« Pennig legte sich ins Zeug.
Die beiden schenkten Melis keine Beachtung mehr.
Sie machte einen winzigen Schritt rückwärts auf die beiden Kiefern zu. Dann noch einen.
Die beiden Männer hoben die Truhe aus dem Loch und brachen das Schloss auf.
Melis machte noch zwei Schritte.
Sobald sie die Truhe öffneten und sie durchsuchten, würde sie losrennen.
Stille in den Bäumen um sie herum.
Nur Pennigs und Archers Atem war zu hören, als sie den Deckel der Truhe hoben.
»Was zum Teufel?«
Leer. Selbst von dort, wo sie stand, konnte Melis es sehen.
Fluchend drehte Archer sich zu ihr um.
Sie rannte im Zickzack auf die Bäume zu.
Eine Kugel pfiff an ihrem Ohr vorbei. Noch ein Meter. Es kam ihr vor, als würde sie sich in Zeitlupe bewegen.
Ein stechender Schmerz fuhr ihr in die linke Seite. Von einer Kugel getroffen, taumelte sie die letzten Schritte auf die Kiefern zu.
Die Pistole. Sie musste die Pistole finden. Panisch wühlte sie im Laub unter der Kiefer.
Wutentbrannt rief Archer nach seinen Männern.
Eine schattenhafte Gestalt, wenige Meter von ihr entfernt.
Einer der Wachtposten?
Wo war die Pistole? Es war so dunkel, dass sie nichts erkennen konnte.
Endlich fand sie sie.
Aber der Wachtposten lag schon am Boden, Kelby kniete auf ihm und brach ihm das Genick.
Archer. Sie musste Archer erschießen.
Sie konnte ihn nirgends entdecken. Dafür sah sie Pennig, der auf sie zukam, das Gesicht wutverzerrt.
Sie hob die Pistole und drückte ab.
Er taumelte.
Sie schoss noch einmal auf ihn.
Er stürzte zu Boden. Plötzlich war Kelby bei ihr und nahm ihr die Pistole ab.
Sie schüttelte den Kopf. »Archer. Wir müssen Archer erwischen.«
»Nein, wir müssen diese Blutung stoppen.« Er knöpfte ihr die Bluse auf. »Verdammt, ich hab dir gleich gesagt, es ist zu riskant.«
»Archer …«
»Er hat die Flucht ergriffen, als keiner seiner Männer aufgetaucht ist. Vielleicht gelingt es Nicholas, ihn zu erwischen, aber Archer hat einen ziemlichen Vorsprung. Nicholas war hier bei mir auf dieser Seite der Lichtung«, sagte er heiser, während er ihre Wunde notdürftig verband. »Wir müssen dich zu einem Arzt bringen. Ich hab dir ja gleich gesagt –«
»Hör auf …« Gott, ihr war ganz schwindlig. »Hör auf, mir unter die Nase zu reiben, du hättest es gleich gesagt. Es hätte alles geklappt, wenn die Truhe nicht … leer gewesen wäre. Ich begreife das nicht.«
»Diese verdammte Blutung …« Er fluchte leise vor sich hin.
»Wo zum Teufel steckt Nicholas? Ich brauche ihn, damit er diese Kompresse auf die Wunde drückt, während ich dich zum Auto bringe. Vergiss Archer. Um den kümmern wir uns, wenn …«
Mehr hörte sie nicht.
Rot karierte Vorhänge.
Das war das Erste, was sie registrierte, als sie die Augen öffnete. Rot karierte Vorhänge und ein gemütlicher Ledersessel in einer Zimmerecke.
»Sind Sie wieder bei uns?« Ein dunkler, etwa fünfzigjähriger Mann in einem Strickpullover lächelte sie an, während er ihre Hand nahm und ihren Puls fühlte. »Ich bin Dr. Gonzales. Wie fühlen Sie sich?«
»Ein bisschen benebelt.«
»Sie haben eine Schusswunde in der linken Seite. Die Kugel hat keine lebenswichtigen Organe verletzt, aber Sie haben eine Menge Blut verloren.« Er verzog das Gesicht. »Aber nicht so viel, wie Ihr Freund, Mr Kelby, gefürchtet hatte. Er war reichlich unverschämt, kam zu mir nach Hause und hat mir gedroht. Beinahe hätte ich ihn rausgeworfen. So etwas sind wir auf Cadora nicht gewöhnt. Das hier ist eine sehr friedliche Insel, deswegen habe ich mich schließlich hier niedergelassen.«
»Wo ist er?«
»Draußen. Ich habe ihn gebeten, in seinem Wagen zu warten, bis Sie aufwachen. Der Mann macht mich ganz nervös.«
»Und Cadora ist eine friedliche Insel«, wiederholte sie seine Worte. »Ich muss mit ihm reden.«
»Ein paar Minuten werden Sie es schon noch ohne ihn aushalten. Ich habe Kelby Antibiotika für Sie gegeben, aber falls sich Anzeichen für eine Infektion zeigen sollten, suchen Sie sofort einen Arzt auf.« Er holte tief Luft. »Sie wissen, dass ich diese Schusswunde der Polizei melden muss, nicht wahr?«
»Das ist mir egal. Tun Sie, was Sie tun
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