Body Farm
hiersein würde. Sie hat sogar noch einmal angerufen, um das zu bestätigen.«
»Hat sie beide Male mit Ihnen gesprochen?«
»Nein, nur beim erstenmal. Den zweiten Anruf hat Rick angenommen.«
»Können Sie genau wiedergeben, was sie bei ihrem ersten Anruf gesagt hat?«
»Nicht ganz. Sie sagte, sie habe mit Captain Marino gesprochen, und der habe ihr die Sig P230 empfohlen, und auch, daß sie sie bei mir kaufen soll. Wie Sie vielleicht wissen, gehe ich mit dem Captain angeln. Wie dem auch sei, sie fragte, ob ich am Mittwoch gegen acht Uhr abends hier sei.«
»Erinnern Sie sich an den Tag, an dem sie anrief?«
»Also, das war einen und zwei Tage vor dem geplanten Besuch. Ich glaube, am Montag davor. Übrigens habe ich sie auch gefragt, ob sie schon einundzwanzig sei.«
»Hat sie Ihnen gesagt, daß sie meine Nichte ist?«
»Das hat sie, und sie erinnert mich sehr an Sie - sogar Ihre Stimmen klingen sehr ähnlich. Sie haben beide eine tiefe, ruhige Stimme. Ich war beeindruckt von ihr am Telefon. Äußerst intelligent und freundlich. Sie schien sich mit Waffen auszukennen, und es wurde deutlich, daß sie recht umfangreiche praktische Erfahrungen im Schießen hatte. Sie hat mir auch gesagt, daß der Captain ihr mehrmals Unterricht gegeben hat.«
Ich war erleichtert, daß Lucy sich als meine Nichte zu erkennen gegeben hatte. Das hieß, es war ihr nicht besonders wichtig gewesen, den Waffenkauf vor mir zu verheimlichen. Auch von Marino hätte ich es erfahren können. Traurig machte mich nur, daß sie nicht vorher mit mir gesprochen hatte.
»Jon«, fuhr ich fort, »Sie sagten, sie hat noch einmal angerufen. Können Sie mir darüber noch etwas sagen? Vor allem, wann das war?«
»An demselben Montag. Vielleicht ein paar Stunden später.«
»Und sie hat sich mit Rick unterhalten?«
»Ganz kurz nur. Ich erinnere mich, daß ich einen Kunden bediente und Rick ans Telefon ging. Er sagte, da sei eine Miss Scarpetta am Apparat. Sie könne sich nicht mehr erinnern, für wann wir verabredet waren. Ich sagte, Mittwochabend um acht, und er richtete es ihr aus. Das war schon alles.«
»Augenblick mal«, sagte ich. »Wie hat sie sich gemeldet?«
Jon zögerte. »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Lucy hat sich Scarpetta genannt, als sie das zweite Mal anrief?«
»So hat Rick es mir gesagt. Er sagte nur, da sei eine Miss Scarpetta am Telefon.«
»Ihr Nachname ist nicht Scarpetta.«
»O je«, sagte er nach einer Schrecksekunde. »Sie machen Witze. Ich hatte das angenommen. Also, das ist ja seltsam.«
Ich überlegte. Lucy hatte wohl Marino angepiepst. Der hatte dann zurückgerufen, höchstwahrscheinlich vom Haus der Steiner aus. Denesa Steiner mußte angenommen haben, daß er mit mir sprach. Sie mußte einfach nur warten, bis Marino aus dem Zimmer war. Dann rief sie die Auskunft an und ließ sich die Nummer von Green Top geben. Dann brauchte sie nur noch dort anzurufen und ihre Fragen zu stellen. Ein seltsames Gefühl der Erleichterung stieg in mir auf, vermischt mit Wut. Denesa Steiner hatte nicht Lucy töten wollen, genausowenig wie Carrie Grethen oder sonstwer. Ich sollte das Opfer sein.
Ich stellte Jon noch eine letzte Frage. »Ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen, aber schien Lucy Ihnen angetrunken, als Sie sie bedienten?«
»Wenn ja, hätte ich ihr nichts verkauft.«
»Wie hat sie sich benommen?«
»Sie war in Eile, scherzte aber herum und war sehr nett.« Wenn Lucy über Monate oder länger so viel getrunken hatte, wie ich vermutete, konnte sie auch bei 1,2 Promille noch den Anschein erwecken, normal zu funktionieren. Dennoch wären ihr Urteilsvermögen und ihre Reflexe beeinträchtigt gewesen. Auf die Ereignisse auf der Straße hätte sie nicht mehr adäquat reagiert. Ich hängte ein und wählte die Nummer der Asheville Citizen Times. In der Lokalredaktion sagte man mir, den Bericht über den Unfall habe eine Linda Mayfair geschrieben. Zum Glück hatte sie Dienst und war gleich am Apparat.
»Hier ist Dr. Kay Scarpetta«, sagte ich. »Oh! Was kann ich für Sie tun?« Ihre Stimme klang sehr jung.
»Ich habe eine Frage zu einem von Ihnen verfaßten Bericht. Es ging um einen Unfall mit meinem Wagen in Virginia. Ist Ihnen klar, daß Ihre Äußerung, ich sei die Fahrerin gewesen und anschließend wegen Alkohols am Steuer festgenommen worden, eine Fehlmeldung war?« Ich sprach sehr ruhig, aber bestimmt.
»O ja, Ma'am. Es tut mir wirklich leid. Aber darf ich Ihnen sagen, was passiert ist? Sehr
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