Boeses mit Boesem
Kaffee kam und wir sahen einander eine Weile an. Iris lächelte. Ich fragte sie warum.
»Als ich in Afrika war, habe ich mich so an dich erinnert«, sagte sie. »Wie du an einem Diner-Tisch sitzt, eine Tasse Kaffee in der Hand.«
»Dorthin also bist du gegangen?«, fragte ich. Ich hatte nicht gewusst, wo sie nach jener Nacht abgeblieben war, in der sie Ezekiel White erschossen hatte. So war es für uns beide am sichersten. Ich hatte mir gesagt, dass ich die Hoffnung aufgeben müsse, sie je wiederzusehen. Das erreichte ich durch die clevere Umkehrstrategie, jede wache Minute an sie zu denken.
»Der HERR hat mich gerufen, um Bruder Isaiahs Arbeit dort fortzusetzen«, sagte sie. »Außerdem war ein Dorf in Guyana zufällig der beste Ort, um mich zu verstecken.«
»Ist der ganze
Kreuzzug
wieder nach Afrika zurückgekehrt?«
Ich hatte die Nachrichtenberichte gelesen, laut derer der
Kreuzzug
als Folge von Bruder Isaiahs Tod seine Arbeit in Amerika einstellen wollte. Es war der zweite Abschied der Organisation; den ersten Exodus aus diesem verweltlichten Land hatte Bruder Isaiah angeführt. Sein Tod hatte das Ende der Arbeit in den Staaten unvermeidlich gemacht. Da seine Anziehungskraft als heilige Gestalt nun fehlte, konnte der
Kreuzzug
nicht mehr so viele neue Leute rekrutieren, und ohne seine Starqualitäten bekam die Organisation nicht die Presse, die sie brauchte, um Menschen an den Pranger zu stellen.
»Die meisten von uns.«
»Wenn Bruder Isaiah in Afrika geblieben wäre, würde er vielleicht noch leben.«
»Wenn Bruder Isaiah in Afrika geblieben wäre, wäre ich in der Gosse gestorben.«
Ihre abgewandten Augen machten mir bewusst, dass ich |200| mich grausam verhielt. Mit meinem Benehmen war es im vergangenen Jahr abwärts gegangen, dabei war es schon vorher nicht besonders gut gewesen. Ich verbrachte selten Zeit mit Leuten, die ich mochte; selbst bei Benny war ich mir oft nicht sicher, ob er zu dieser Kategorie gehörte. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, etwas Gutes über den alten Mann zu sagen, noch nicht einmal Iris zuliebe. Bruder Isaiah jetzt zu loben wäre so, als spuckte man all den Menschen ins Gesicht, deren Leben er zerstört hatte.
»Ich glaube, du unterschätzt dich«, sagte ich. »Wenn du die Kraft hattest, mit seiner Hilfe clean zu werden, hattest du auch die Kraft, es allein zu schaffen.«
»Das verstehst du nicht«, sagte Iris, als redete sie mit einem Kind. »Manchen Dingen kann man sich ohne die Hilfe einer höheren Macht nicht stellen. Zuzugeben, dass man einfach nur ein Mensch ist, ist kein Zeichen von Schwäche.«
Diese Gesprächsrichtung tat keinem von uns beiden sonderlich gut, und so beschloss ich, das Thema zu wechseln, bevor es heikel wurde. »Du sagtest, die meisten wären weggegangen. Was ist aus dem Rest geworden?«
»Diese Leute hatten ihr Leben hier«, erklärte Iris. »Einige waren Pfarrer, die ihre Gemeinde nicht im Stich lassen konnten. Andere hatten Aufgaben zu erledigen.«
»Aufgaben?«
»Spendengelder sammeln«, meinte Iris. »Wir hängen für die Finanzierung unserer Arbeit in Afrika von den Zuwendungen amerikanischer Christen ab.«
»Ist das alles?«
Iris wich meinem Blick aus.
Ich hätte es mir denken können. Zu viele Leute im
Kreuzzug
waren zu geschickt darin geworden, andere Menschen auszuspionieren, um das jetzt völlig aufzugeben. »Ihr habt also für schlechte Zeiten ein paar Leute an Ort und Stelle belassen.«
|201| »So unsicher, wie alles derzeit ist, hättest du es da anders gemacht?«
Da musste ich ihr recht geben. »Das erklärt nicht, was du hier machst. Du bist zu hübsch, um Schutzgelder einzusammeln.«
»Ein paar von unseren Leuten sind verschwunden.«
Die verrückten Ideen, die Cal und Jack mir in den Kopf gesetzt hatten, brodelten hoch. Das Problem mit Verschwörungstheorien war, dass man so ziemlich alles hineinzwängen konnte. Hätte ich den beiden ihren Sermon abgekauft, würde ich jetzt darüber nachdenken, wie Iris’ verschwundene Personen mit meiner zusammenpassten. Das Potenzial, alles als einen einzigen, großen, apokalyptischen Komplott zu sehen, war einer der Gründe, aus denen ich die Theorie der beiden auf dem Boden der Grand Central Station hatte liegen lassen.
»Hast du etwas gehört?«, fragte Iris. Ihr war anzusehen, dass sie in meinem Blick etwas erkannt hatte.
»Nein«, antwortete ich. »Es ist einfach nur ein sonderbarer Zufall: Ich arbeite selbst an einem Vermisstenfall. Wen suchst du?«
»Ich habe sechs
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