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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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konnte auch nach einer Woche noch nicht festgestellt
     werden – die Kollegen nahmen einfach an, dass wir es mit einem Landstreicher zu tun hatten. Mit einem Menschen ohne Verwandte,
     die ihn vermissten. Mit einem Heimatlosen. In solchen Fällen hätten die Ermittler wenig Möglichkeiten, sagte man mir. Und
     dann deutlicher: Ich sollte endlich Ruhe geben |54| und mich um meine eigentlichen Aufgaben als Leiter eines ländlichen Polizeireviers kümmern.
    »Aber es gibt Hinweise auf ein Gewaltverbrechen.«
    »Welche denn?«
    »Den Brand.«
    »Den hat der Blödmann wahrscheinlich selbst ausgelöst.«
    »Das ist technisch nicht möglich. Er muss gelegt worden sein.«
    »Brandstiftung ist eine andere Baustelle. Für uns ist die Sache erledigt, Kollege.«
    »Aber dieser Tote – man muss doch feststellen, wie er zu Tode gekommen ist. Auch wenn er ein Landstreicher war. So jemand
     hat doch auch eine Geschichte. Warum hat er sich erhängt?«
    »Keine Ahnung. Wahrscheinlich war er besoffen. Wir haben andere Probleme als besoffene Idioten.«
    »Unter jedem Grabstein ruht ein Stück Weltgeschichte.«
    »Was?«
    »Unter jedem Grabstein ruht ein ...«
    Es knackte. Der Metzer Kripomann hatte aufgelegt.
     
    A uch zwei Tage nach dem Ereignis war das Gelände noch abgesperrt. Der Bürgermeister hatte einen mobilen Bauzaun aufstellen
     lassen. Er wolle nicht, dass jemand in der Ruine herumstreunte und sich verletzte, hatte er erklärt.
    Ich schob zwei Betonfüße des Zaunes auseinander und betrat das Grundstück. Es roch immer noch nach dem Brand. Der Boden war
     mit schwarzer Asche bedeckt.
    Im Bericht der Metzer Berufsfeuerwehr war von einer Feuerstelle die Rede gewesen, von der aus der Brand sich ausgebreitet
     haben könnte. Ich fand in dem Gemäuer wirklich ein tiefschwarzes Loch, das mit Steinen umgeben war. Über den Steinen lag ein
     Rost. Darauf hatte die Konservendose gestanden, die ich zusammen mit dem Schuh in meinem Schreibtisch aufbewahrte – die einzigen
     Fundstücke vom Tatort. Wahrscheinlich hatte sich der Tote etwas zu essen aufgewärmt.
    |55| Aß man sich noch satt, wenn man vorhatte, sich aufzuhängen? Ein Henkersmahl, das gab es in US-Gefängnissen – kurz vor der
     Vollstreckung der Todesstrafe. Aber ein Landstreicher oder einer, der auf der Flucht war und sich umständlich ein karges Essen
     in einer Dose über dem Feuer erhitzen musste – der verzichtete doch lieber auf die aufreibende Prozedur, wenn er wenig später
     sowieso von irdischen Bedürfnissen erlöst war. Wenn etwas dagegen sprach, dass der Mann sich selbst erhängt hatte, dann die
     Feuerstelle. Allerdings musste ich mir auch eingestehen: Nichts bewies, dass diese Feuerstelle am Abend des Brandes benutzt
     worden war. Vielleicht hatten öfter Landstreicher in der Ruine des Wackesberges übernachtet und sich dort etwas gebrutzelt.
    Ich hatte einen Klappspaten dabei und begann, vorsichtig die oberste Schicht Asche rund um die Feuerstelle abzutragen. Es
     dauerte nicht lange, da stieß ich auf einen Löffel – von der Hitze grotesk verbogen. Ein weiteres Indiz. Möglicherweise hatte
     der Tote also doch hier gegessen oder es zumindest vorgehabt. Ein anderer Landstreicher hätte seinen Löffel nicht zurückgelassen.
    Ich ging zu der Stelle, wo die Leiche gefunden worden war. Dort war die Rußschicht noch dicker. Ich schippte etwa zwanzig
     Zentimeter in die Tiefe – da stieß ich auf etwas, was metallen schepperte, sobald es mit dem Spaten in Berührung kam. Es war
     noch warm – so tief hatte es gelegen. Ich begutachtete es von allen Seiten. Ein deformiertes Stück Metall. Nicht größer als
     ein Dessertteller. Wie das Objekt eines modernen Künstlers. Schwer zu sagen. Ich legte es zur Seite und schippte weiter.
    Der Staub wirbelte hoch. Es wurde mir heiß. Der Ruß verklebte mir Nase und Augen. Nach etwa einer halben Stunde gab ich es
     auf. Nichts. Außer dem Löffel und dem undefinierbaren Stück Metall, das einmal alles Mögliche gewesen sein konnte. Vielleicht
     ein Überbleibsel aus der Zeit, als auf dem verwunschenen Wackesberg noch gearbeitet worden war.
    Ich musste mich ein paar Schritte von der Ruine entfernen, um freier atmen zu können. Von der Rückseite des Wackesberges aus
     hatte man einen schönen Blick über die Felder, bis hinunter zum |56| Fluss. Vielleicht hatte der Investor aus Frankfurt ja einen guten Griff getan. Hier konnte wirklich etwas entstehen.
    Ich ging noch ein paar Schritte in Richtung der Felder. Da sah

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