Bollinger und die Barbaren
wärmte sich die
Hände an der Tasse. Ich bot ihr meine Uniformjacke an. Sie zögerte erst, dann nickte sie und machte Anstalten hineinzuschlüpfen.
» Patron , es geht mich ja nichts an. Aber wenn jemand hier reinkommt, und das halbnackte Ding sitzt da in Ihrer Uniformjacke – dann
sieht das nicht sehr vorteilhaft für Sie aus.«
Louis hatte recht. Also schlüpfte ich wieder in meine Jacke. Immerhin lächelte sie über das Hin und Her – vielleicht verstand
sie uns ja ein wenig.
»Do you speak English?« , fragte ich, nachdem ich mit Französisch und Deutsch keinen Schritt weitergekommen war.
Sie nickte heftig. Na also.
»From where in Poland are you from?«
Sie schaute mich entgeistert an.
»Passport?!« , verlangte Louis.
Sie schüttelte entschlossen und ernst den Kopf. So kamen wir nicht weiter.
»Sind Sie geschlagen worden?«, fragte ich und machte eine entsprechende Bewegung. Sie zuckte zusammen.
»Natürlich ist sie geschlagen worden. Schließlich war sie bei den Hagenaus. Und die haben sie nicht nur geschlagen, wenn Sie
mich verstehen. Das sind Tiere, diese Hagenaus. Barbaren sind das.«
Eine schöne junge Frau, schwach und halbnackt. Die kräftigen blonden Haare waren verfilzt, offensichtlich hatte sie lange
keine Gelegenheit gehabt, sie zu pflegen. Die Oberarme waren an einigen Stellen blutunterlaufen, die Hände rau und abgearbeitet.
Die Schulterknochen sahen aus, als hätte man auf sie eingedroschen: tiefblau und grün. Ein hilfloses Geschöpf, das in die
Fänge verwahrloster, asozialer Krimineller geraten war. Natürlich mussten wir ihr helfen. Sobald wir mehr über ihre Leidensgeschichte
in Erfahrung gebracht hatten, würden wir uns diese Hagenaus vorknöpfen.
|72| »Haben die Hagenaus Sie entführt? Kidnapped, you understand ?«
Sie schaute mich wieder groß an, sie verstand gar nichts.
»Sie können erst mal hier auf dem Revier bleiben«, erklärte ich. Sie lächelte dankbar. »My name is Agneta. I’m coming from Poland «, sagte sie in einem Englisch, dem man ihre slawische Herkunft anhörte.
»Na also«, jubelte ich.
»Wir können sie doch nicht in eine Zelle sperren, patron «, ermahnte Louis mich.
»Dann nehme ich sie mit zu mir.«
Louis schluckte – aber er schwieg. Mir fiel Lotte ein. Genau, die konnte helfen.
Ich ging zum Schreibtisch und wählte die Nummer der Frau Bürgermeister.
»Es geht um die junge Dame, die heute Mittag bei uns war. Wir müssen ihr helfen. Sie kommt aus Polen. Sieht so aus, als wäre
sie entführt und misshandelt worden. Als Erstes braucht sie einen Mantel. Das ist eine Frage der Menschlichkeit, Lotte! Ich
kenne niemanden sonst, den ich darum bitten könnte.«
Sie reagierte so, wie ich es erhofft hatte. Fünf Minuten später war sie mit einem Mantel auf dem Revier, einem knallroten
Plastikregenmantel. Agneta musterte das gute Stück etwas skeptisch – aber sie schlüpfte hinein. Wohl fühlte sie sich in dem
Mantel nicht, das sah man ihr an.
Lotte wartete, bis Straßer nach draußen ging, um einen Anruf entgegenzunehmen, dann bestürmte sie mich: »Was willst du mit
dieser Person? Wieso interessierst du dich so für sie?«
Ich wagte schon gar nicht mehr, sie zu fragen, ob ich Agneta ein paar Tage bei mir unterbringen konnte.
»Sie ist in Not, sie wurde misshandelt. Es ist unsere Pflicht, ihr zu helfen.«
Agneta schaute mich mit großen Augen an. Ich hatte ein komisches Gefühl bei dem Gespräch – sicher verstand sie, dass wir über
ihr Schicksal verhandelten.
|73| »Soso, eure Pflicht?« Lotte stemmte die Arme in die Hüften wie eine eifersüchtige Ehefrau. »Dann sieh dir das Flittchen doch
mal genauer an! Wer der einen Schnaps spendiert, kann sie in allen Lagen haben.«
»Lotte!«, fuhr ich sie an. »Sie versteht vielleicht den Sinn dessen, was du sagst.«
Doch Agneta wirkte nur etwas verängstigt und kratzte sich ihre nackte Schulter unter dem Regenmantel.
»Schau, dass du die so schnell wie möglich wieder loswirst! Das passt nicht zu einem Polizeichef von Schauren – so eine kleine
Schlampe.«
Damit war Lotte weg.
»Und?«, fragte Straßer, als er zurückkehrte. »Nimmt die Frau Bürgermeister unsere Agneta auf?« Es klang, als hätte er gehorcht.
»Wir werden dafür sorgen, dass sie eine Fahrkarte in ihre Heimat bekommt.«
»Nein!«, sagte Agneta.
Louis und ich sahen uns erstaunt an.
»Nach Polen will ich nicht mehr«, erklärte Agneta in fast akzentfreiem Französisch.
In diesem Moment flog
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