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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Jetzt wirkte Madame ganz anders als in der Praxis. Sie war dezent
     geschminkt und adrett gekleidet. Sie war schlank. Flachbrüstig, würden manche sagen. Ihr brünettes Haar trug sie bubenhaft
     kurz. Ihre Gesichtszüge waren sehr französisch, fein geschnitten, sensibel, aber entschlossen. Sie sah aus wie eine Lehrerin,
     trug auch eine Hornbrille, die an einem Metallband um ihren Hals hing.
    Die Frau des Arztes war einmal eine Schönheit gewesen. In gewissem Sinn war sie das jetzt noch, obwohl sie die Fünfzig schon
     überschritten hatte. Zur schwarzen Seidenbluse trug sie einen kurzen, engen Rock, wie fast alle Frauen in Schauren. Ihr |106| Körper war knabenhaft, aber dennoch sehr weiblich, die Formen waren ausgeglichen. Sie bewegte sich katzenhaft und fast lautlos.
     Ihre Stimme klang ein wenig rau, aber nicht kratzig.
    »Claire, würdest du unserem Polizeichef alles zeigen?«
    Sie hatte nur Augen für den Bürgermeister.
    »Gerne. Brauchen Sie mich heute noch?«
    Es war ein Flehen. Doch Pierre Brück war ungnädig:
    »Nein, wenn Bollinger alles gesehen hat, kannst du gehen.«
    »Und morgen?« Ihre frisch blutrot geschminkten Lippen zitterten unmerklich.
    »Morgen ist doch dein freier Tag, oder?«
    »Ja. Aber wenn die besondere Situation es erfordert, komme ich natürlich ...«
    Brück schaute sie zum ersten Mal an. Sein Blick glitt an ihr herab auf die nackten Beine, die durchaus zu einer Jüngeren hätten
     gehören können.
    »Mal sehen. Ich rufe dich heute Abend an. Oder besser: Ich schicke dir eine Mail. Vielleicht müssen wir noch mal reden. Abends.«
    Er warf mir einen missbilligenden Blick zu, es war dem Bürgermeister nicht recht, dass ich mitbekam, wie eng er mit seiner
     Angestellten zusammenarbeitete.
    »Wir können ja noch irgendwo essen gehen.«
    Madame Chariot war überglücklich. Jetzt hatte sie auch Augen für mich. Sie setzte ihre Hornbrille auf. Ihr Ton wurde geschäftsmäßig.
    »Wenn Sie dann mitkommen würden.«
    »Bis gleich!«, sagte Pierre Brück zu mir, während er schon in seiner Vorlagenmappe kramte.
    Wir gingen zu einem Zimmer am Ende des Flures. Claire Chariot schloss auf. In dem winzigen Raum war es dunkel. Vom Flur fiel
     wenig Licht herein.
    Ich konnte nur ein verstaubtes Regal erkennen.
    »Hier stand das Telefon«, sagte sie und legte den Zeigefinger auf ein Brett.
    |107| Ich konnte im Staub die Insel mit den Umrissen eines Schuhkartons erkennen. Claire Chariot bückte sich leicht und blies den
     Staub weg. Ich wunderte mich, mit welcher Anmut sie das tat. Ihr Parfüm war herb, aber anregend.
    »Ist das Zimmer immer abgeschlossen?«
    »Ja.« Sie biss sich auf die Lippe. »Fast immer. Gestern war es offen. Aus Versehen.«
    »Wer hat einen Schlüssel dazu?«
    »Nur ich und Pierre ... der Bürgermeister.«
    Sie wich meinem Blick aus und errötete. Das sah ich trotz der schlechten Lichtverhältnisse. Nun wusste ich, was Sache war:
     Pierre Brück schlief mit der Gattin des Arztes. So wie er mit etlichen Frauen in Schauren schlief. Aber um Claire Chariot
     war er zu beneiden. Ich war ihr ganz nah in dem verstaubten und dunklen Kabuff, und ich spürte, dass sie eine sehr anhängliche
     Frau war. Ihr Gatte hatte sie wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr angerührt. Sie war ausgehungert. Sie verzehrte sich nach
     Sex. Sie war bereit, sich hinzugeben. Pierre Brück hatte mal wieder den richtigen Riecher gehabt.
    Irgendwie machte es uns zu Kumpanen, dass er Lotte mit dieser Frau betrog. Lotte hatte dadurch einen triftigen Grund mehr,
     ihn zu verlassen. Im Übrigen betrog ich sie ja auch. Mit Agneta. Zwar nur in meinen Fantasien – aber die waren so stark, dass
     ich Schuldgefühle hatte wie bei einer wirklichen Affäre.
    »Kann ich jetzt das Kellerfenster sehen?«
    Sie schloss wieder ab, und wir stiegen die Treppe hinab ins Untergeschoss. Am Ende eines langen Ganges lagen Scherben auf
     dem Boden. Ich bückte mich und schaute sie mir genauer an. Dann ließ ich Madame Chariot die Kellertür aufschließen. Wir gingen
     hinaus. Auch auf den Stufen der Kellertreppe lagen Scherben. Unter dem aufgebrochenen Fenster. Wie im Keller – handtellergroß.
    »Wer hat denn das Fenster eingeschlagen?«, fragte ich.
    »Die Einbrecher natürlich«, antwortete sie pikiert.
    Ich schaute mir das Fenster genauer an. Es war klein. Nicht |108| mal fünfzig auf fünfzig. Das Fenster in der Kellertür war größer, dort hätte ein Mensch bequem durchklettern können. »Gut«,
     sagte ich. »Sie können

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