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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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übel nehmen. Es geht um Arbeitsplätze,
     Bollinger. Um die Zukunft unserer Gemeinde.«
    » Monsieur le maire – der Leichenbeschauer hat eindeutige Hinweise gefunden. Und die Gerichtsmedizin in Metz ...«
    »Masson ist ein Trottel. Haben Sie das nicht bemerkt? Und in Metz sitzt der Präfekt. Der weiß, was hier los ist. Er wird die
     Gerichtsmedizin schon in ihre Schranken verweisen, falls dort jemand übereifrig sein sollte. Aber das wird keiner, denn sie
     kennen Masson und wissen, dass er nicht richtig tickt. Sie sind das einzige Problem, Bollinger. Lassen Sie den Wackesberg
     und kümmern Sie sich um Pétain!«
    Ich stand auf. Er fuhr herum.
    »Sie wollen gehen?«
    »Ich habe meine Prinzipien.«
    »Was sind denn das für Prinzipien?«, brüllte Brück. »Dass Sie Ihre Karriere als Kriminalist über das Wohl unserer Gemeinde
     stellen?«
    |111| »Nein«, antwortete ich ruhig. »Ich werde mit dem Wackesberg-Mord keine Lorbeeren verdienen, das weiß ich.«
    Er kam mir ganz nahe, ich roch seine Ausdünstung, ich hörte seine Bronchien rasseln.
    »Warum tun Sie’s dann, um Gottes willen?«
    »Weil es einen Toten gegeben hat. Das ist für mich Grund genug.«
    Brück fuhr herum. Er rannte zum Fenster, wild mit den Armen gestikulierend.
    »Ein versoffener Landstreicher. Ein Asozialer. Was soll das? Jeder ordentliche Bürger unserer Gemeinde ist tausendmal mehr
     wert.«
    »Nein«, sagte ich.
    Brück fiel in sich zusammen. »Suchen Sie Pétains Telefon, Bollinger! Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Haben Sie denn keinen Respekt vor einem Menschenleben, monsieur le maire ?«
    »Scheren Sie sich zum Teufel, Bollinger, ich habe zu tun«, brüllte der Bürgermeister und beugte sich über seine Vorlagenmappe.

|112| 9. KAPITEL
    M an könnte leicht den Eindruck gewinnen, dass ich, was Frauen angeht, ziemlich unbeleckt bin. Es ist ja nicht üblich, dass
     ein Kerl, der schon seine Erfahrungen mit den Frauen gemacht hat, so Knall auf Fall einer verfällt, die er kaum kennt. Ich
     meine damit nicht nur Agneta, sondern auch Lotte. In beiden Fällen bin ich mit wehenden Fahnen übergelaufen. Das tut einer
     in meinem Alter normalerweise nicht. Ein Mann meines Alters weiß, dass bei den Frauen alles anders ist als bei den Männern,
     vor allem aber, dass sie nie halten, was sie versprechen. Und er weiß auch, wie wenig er seinen eigenen Gefühlen trauen kann.
     Ein ungehobelter Kommilitone von mir auf der Polizeiakademie hat es mal so formuliert: Ein steifer Schwanz ist ein schlechter
     Wegweiser. Das trifft es in etwa, auch wenn ich es anders ausdrücken würde.
    Nun, ich habe durchaus auch vor Lotte und Agneta meine Erfahrungen gemacht. Und sie waren längst nicht so gut, wie mein Verhalten
     in Schauren nahelegen könnte, denn ich habe die Frauen auch von ihrer bösen Seite kennengelernt. Aber ich habe daraus nie
     die Konsequenzen gezogen, die andere üblicherweise ziehen. Ich habe trotz allem nie aufgehört, an die Frauen zu glauben.
    Schon als Jüngling war ich bereit, für jede Frau, die mir zuzwinkerte, durchs Feuer zu gehen. Ich war nicht naiv oder weltfremd
     oder gar leichtgläubig. Ich war nur einfach der Meinung, dass man als Mann Geduld haben muss.
    Man muss sich durch die äußeren Schalen, die nicht einmal immer abschreckend sind, sondern oft sehr verlockend, hindurchkämpfen,
     muss Rückschläge und bittere Enttäuschung ertragen, |113| wenn man zu spüren bekommt, wie egoistisch, wie kleingläubig, wie borniert das Wesen, das man anbetet, in Wirklichkeit sein
     kann. Man muss auch die ästhetische Entzauberung ertragen können. Es gibt keine Frau, die schön bleibt. Meist zeigen sich
     schon nach kurzer Zeit Narben, keine medizinischen, sondernd seelische Narben, die den schönen Anblick entstellen. Man muss
     das alles stoisch hinnehmen – um dann den eigentlichen Lohn zu empfangen. In jeder Frau steckt nämlich ein göttlicher Kern.
    Ich muss mir das nicht ständig vor Augen halten. Ich weiß es, ich spüre es, wenn ich einer Frau näherkomme. In Lotte steckt
     er, und in Agneta steckt er. Er steckt aber auch in allen anderen Frauen. Es würde mir bei keiner Schwierigkeiten bereiten,
     diesen göttlichen Kern zu entblättern. Mein Glaube an die Frauen ist stark genug.
    Dass es mich nun gerade bei Lotte und Agneta so erwischt hatte, war dem Umstand zu verdanken, dass beide auch meinen göttlichen
     Kern gespürt hatten. Deshalb waren sie auf mich zugekommen, deshalb hatte Lotte ihre Ehe gebrochen, deshalb

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