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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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war Agneta zu
     mir in den Wagen gestiegen. Sie hatten mich auserwählt, nicht ich sie.
    In der Literatur gibt es eine Menge Beispiele dafür, dass es völlig ausreicht, wenn eine Frau auf einen Mann zugeht oder ihm
     einfach nur einen freundlichen Blick zuwirft, um diesen Mann in leidenschaftlicher Liebe zu ihr entbrennen zu lassen. Die
     Männer sind so viel simpler gestrickt als die Frauen. Ihnen genügt die Illusion, dass eine Frau sie mögen könnte, um aus dieser
     Frau eine Göttin zu machen. Sie denken dabei in geradezu lächerlich logischen Mustern: Wenn diese Frau in mir das Wunderbare
     erkennt, muss sie selbst wunderbar sein, denn all die vielen anderen, die mir begegnet sind, sind nicht auf die Idee gekommen,
     dass ich besonders sein könnte. Also liebe ich sie. Ich liebe sie, weil sie mich liebt – oder so tut, als liebte sie mich.
     Das ist das ganze Geheimnis. So funktioniert die Liebe.
    Im Grunde braucht man das Wunderhormon Oxytocin gar |114| nicht. Es genügt völlig, dass da ein Mensch ist, der den Eindruck erweckt, er habe sich in mich verliebt. Das versetzt mich
     schon in den geheimnisvollen Zustand, um den alle Welt ein solches Aufheben macht. Das Wunderhormon ist nur noch die biochemische
     Unterfütterung dieses psychologischen oder wie Dr. Backes sagen würde: phänomenologischen Zustandes. Viel wichtiger als das
     Zusammenspiel der Moleküle ist diese Harmonie der Seelen – dass zwei Menschen einander erkennen. So wie Agneta und ich uns
     erkannt haben.
     
    U m Lotte machte ich in diesen Tagen einen großen Bogen. Mir war klar, dass sie mich nur anschauen musste – schon würde sie
     alles über meinen derzeitigen Zustand wissen. Sie hatte bei ihrem ersten Aufeinandertreffen mit Agneta ziemlich ruppig reagiert.
     Die sensible Lotte hatte die Gefahr gewittert, die ihr durch die Polin drohte.
    Wir begegneten uns jedoch zwangsläufig. Einmal hängte sie gerade im Garten Wäsche auf, als ich den Müll rausbrachte. Sie wusste,
     dass ich in ihrer Nähe war, wandte sich aber nicht um. Sie tat so, als bestünde ihr ganzes irdisches Dasein allein darin,
     die Unterhosen von Pierre Brück auf die Leine zu hängen und sie zärtlich im Schritt zurechtzuzupfen. Es waren riesige, unförmige
     Unterhosen. Übergrößen. An manchen Stellen schon fadenscheinig geworden. Pierre Brück besaß etwa zehn ähnliche Unterhosen.
     Sicher hatte Lotte sie ihm gekauft. Mit einem Eingriff. Wie oft mochte sie, seit wir uns kannten, begierig in diesen Eingriff
     gefasst haben?
    Manchmal glaubte ich, Lotte inzwischen zu hassen. Ich tat alles, um diesen Hass am Leben zu erhalten. Nur so konnte ich Agneta
     weiter lieben. Ich musste es tun – auch wenn es mir schwerfiel. Sogar auf die Gefahr hin, Lotte damit wehzutun. Früher war
     ich es immer gewesen, dem die Frauen wehgetan hatten. Jetzt hatte ich diesen Part übernommen. Es schien den Leidensdruck zu
     lindern, aber angenehm war es trotzdem nicht. Ich fand sogar, |115| dass es mir als Opfer besser gegangen war. Aber das konnte ich mir ja nicht aussuchen.
    Lotte machte es mir leicht. Sie spielte die beleidigte Leberwurst. Dabei hatte ich ihr doch noch gar nichts getan. Ich hatte
     bloß Agneta vor den Hagenaus zu retten versucht. Das war nicht mehr als meine Pflicht und Schuldigkeit. Aber Lotte hatte nur
     ihre Eifersucht im Kopf. Egal, in welchem Elend die arme Agneta steckte.
    Das war kleinlich von Lotte – kleinlich und egoistisch. Sie war eben doch eine Landpomeranze, eine alternde Dorfschönheit,
     die es nicht gewöhnt war, sich mit schöneren Frauen vergleichen zu müssen. Als mir das klar wurde, begann ich mich von Lotte
     zu lösen. Allerdings muss ich sagen: Ohne Agneta hätte ich das nicht gekonnt. Sie gab mir die übermenschliche Stärke, die
     ich brauchte, um mein Leben zu ändern.
     
    B ei nächster Gelegenheit nahm ich Louis beiseite.
    »Was ist mit Madame Chariot?«
    Louis zog die Augenbrauen hoch. »Eigentlich ein armes Ding. Ihr Mann hat nur seine Arbeit im Kopf. Als sie heirateten, war
     sie eine Attraktion. Und er ein verknöcherter Landarzt, fünfzehn Jahre älter als sie. Sie dachte wohl, er würde ihr was bieten.
     Aber er brauchte nur eine Haushaltshilfe. Nicht mal in der Praxis wollte er sie haben. Sie sei zu nervös, sagte er, das vertrügen
     seine Patienten nicht.«
    »Aber jetzt arbeitet sie doch im Rathaus.«
    »Ja, sie hat mit über vierzig noch eine Ausbildung gemacht. Als Bibliothekarin. Natürlich bekam sie keinen Job. Bis

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