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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Miller«, flüsterte ich.
    »Oh, nein! Das auch noch. Ich sterbe gleich vor Scham. Alain ist mein Cousin.«
    Wir saßen steif da wie Schaufensterpuppen und warteten. Dann sah ich, wie der Lichtkegel näher kam.
    »Los!«, sagte sie.
    Wir umarmten uns und küssten uns leidenschaftlich. Claire Chariot schmeckte nach Pfefferminz und Dosenmilch. Ich hörte, wie
     der schwere Dieselmotor langsam an uns vorbeituckerte. Als ich die Augen öffnete, war der Lichtkegel verschwunden.
     
    D er Bürgermeister staunte nicht schlecht, als ich ihm am nächsten Morgen das Messingtelefon von Marschall Pétain auf den Schreibtisch
     stellte.
    »Mensch, Bollinger, wie haben Sie das gemacht?«
    »Ein bisschen Erkennungsdienst – und sehr viel Psychologie.« Mehr konnte ich nicht verraten – ich hatte schließlich mein Wort
     gegeben.
    |141| »Mann, bin ich erleichtert. Das gute Stück. Sie glauben ja nicht, wie wichtig es ist. Ich verehre den Alten sehr.« Er drehte
     das schwere Telefon um und betätigte die Kurbel.
    »Pétain? Sie verehren Pétain?« Ich war etwas verwirrt.
    Er schaute auf und sagte sehr ernst: »Das tun viele in Frankreich. Nicht wegen seiner Zeit in Vichy. Da konnte er nicht anders.
     Eine undankbare Rolle. Aber das war nicht seine Schuld.« Er hob seine Stimme. »Wir haben diesen Krieg nicht angefangen, Bollinger!«
    »Natürlich nicht.«
    »Aber Pétain hat im Ersten Weltkrieg Großartiges geleistet. Er war ein wirklicher Held.« Er seufzte. »Nach dem Zweiten Weltkrieg
     ist das leider in Vergessenheit geraten. Aber das kennt man ja. Ein Mann leistet Übermenschliches – und dann macht er einen
     winzigen Fehler ...«
    »Sie meinen, Vichy war ein winziger Fehler von Pétain?«
    Der Bürgermeister wurde nachdrücklich. »Ich rede nicht mehr von Vichy und Pétain.«
    »Wovon reden Sie dann?«
    »Von der Tragik des Vergessens. Was meinen Sie, was von mir bleibt? Seit fast dreißig Jahren reibe ich mich auf für diesen
     schönen Ort ...«
    »Aber man verehrt Sie hier doch schon wie einen Gott, monsieur le maire .«
    Pierre Brück winkte ab. Er legte seine Hand auf die geschwungene Gabel von Pétains Feldtelefon. »Sehen Sie sich dieses Stück
     hier an. Ist es nicht ein Symbol für die Vergänglichkeit?«
    Pierre Brück hatte recht: Das alte Telefon des Marschalls stammte aus einer Zeit, die wir nicht mehr verstanden. Brück hob
     abrupt seinen Kopf.
    »Wenn das Wackesberg-Geschäft platzt, lieber Bollinger, dann sind meine erfolgreichen Jahre ebenso vergessen wie die Heldentaten
     des Marschalls vor Verdun.«
    Nun verstand ich ihn. Pierre Brück schob das alte Telefon zur Seite und tupfte sich den Staub mit seinem Taschentuch von den |142| Händen. »Sie wissen, was ich Ihnen sagen will, nicht wahr? Dass Sie in anderen Dimensionen denken müssen, Bollinger.« »Ich
     muss zurück an meine Arbeit, monsieur le maire .« Als ich an der Tür war, wandte ich mich noch mal um. »Achten Sie in Zukunft besser auf die Dinge, die Ihnen etwas wert
     sind. Es gibt überall Kriminelle und Betrüger.«
    Zum ersten Mal sah ich Pierre Brück rot werden.
     
    G egen elf Uhr erschien der Bürgermeister überraschend auf dem Revier. Mit offenem Kragen und vier Flaschen Veuve Clicquot unterm
     Arm. Als ich sein breites Grinsen sah, wusste ich, dass das kein Anstandsbesuch war.
    Meine beiden Kollegen waren nervös. »Wir haben nicht mal richtige Champagnergläser«, stammelte Alain.
    Brück winkte ab. »Wir sind doch unter uns.« Er schob Miller einen Zwanzigeuroschein hin. »Nicht, dass ihr glaubt, das kommt
     aus der Staatsschatulle. Den Schein spendiert euer Bürgermeister aus seiner eigenen Tasche. Alain, sei mal so nett und besorg
     uns ein anständiges Frühstück! Meine Lotte ist heute Morgen nicht aus dem Bett gekommen.« Er zog mit dem Zeigefinger sein
     rechtes unteres Augenlid herunter, so dass man das fleischige Graurot sehen konnte. »Wenn man die alten Stuten zu heftig reitet,
     schaffen sie’s nicht mehr an die Futterkrippe.«
    Straßer und Miller schlugen sich auf die Schenkel vor Vergnügen. Mir war hundeelend.
    »Bleibt aber unter uns, Männer«, ordnete Brück an. »Lotte würde sterben, wenn sie wüsste, dass ich meinen Freunden von ihren
     diesbezüglichen Qualitäten erzähle. Da kann nämlich manche Junge nicht mithalten.«
    Die beiden Polizisten wuchsen sichtlich. Der mächtige Pierre Brück, der Gott von Schauren, hatte sie als seine Freunde bezeichnet.
     In diesem Moment hätte er alles, wirklich alles von

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