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Bollinger und die Barbaren

Titel: Bollinger und die Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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ihnen verlangen können.
    Alain Miller hatte vor dem Eintreffen des Bürgermeisters lange |143| über der Zeitung gebrütet, jetzt schob er den abgegriffenen ›Le Républicain‹ über den Tresen.
    »Haben Sie’s gelesen, monsieur le maire ? Heute Morgen kam schon der zweite Artikel darüber. Die in Metz wollen noch mehr Algerier in Lothringen ansiedeln. Jetzt
     soll ein weiteres Dorf dran glauben. Zwanzig Familien müssten untergebracht werden, heißt es. Und sie sind am Überlegen. Sie
     wollen einen Ort finden, wo noch keine wohnen. Hoffentlich fällt ihnen da nicht Schauren ein ...«
    Brück warf nur einen kurzen Blick auf die Titelseite der Tageszeitung. Er zeigte ein besorgtes Gesicht.
    »Ich hab’s gelesen. Gestern hat mich schon jemand von der Departementsverwaltung angerufen. Ich habe ihm gleich gesagt: Das
     geht bei uns nicht. Solange ich Bürgermeister bin, werde ich mich gegen so einen Eingriff in die gewachsenen Strukturen wehren.«
     Und dann mit einem wahren Dackelblick: »Aber ich bin nicht allmächtig, Alain.«
    Wieso hatte er mit mir noch nicht über den Anruf aus Metz gesprochen? Das wäre doch naheliegend gewesen. Schließlich hatte
     ich als Polizeichef die Aufgabe, möglichen Spannungen, die durch die Anwesenheit der Ausländer entstehen könnten, schon im
     Vorfeld entgegenzuwirken. Aber Pierre Brück konsultierte nicht, er regierte und dirigierte mit Champagnerflaschen und eau de vie .
    Louis versetzte Alain einen Stoß. Miller brauchte eine Weile, bis er begriff und sich mit dem Zwanzigeuroschein des Bürgermeisters
     auf den Weg machte.
    Unterdessen entkorkte Brück geschickt die erste Flasche und füllte drei Wassergläser. Kein Spritzer ging daneben – und das
     tiefe, zufriedene Plopp hatte so selbstverständlich geklungen, als wäre das späte Champagnerfrühstück ein täglich wiederkehrendes
     Ritual auf dem Polizeirevier von Schauren. Pierre Brück hatte eben Routine in diesen Dingen. Bei mir flog der Korken meistens
     gegen die Deckenlampe und der Sekt spritzte auf den Boden. Wir stießen an.
    |144| »Auf unseren guten Bollinger! Wenn es unter uns bleibt, kann ich es ja sagen: Er hat Schauren einen besonderen Dienst erwiesen.
     Wir haben es nicht an die große Glocke gehängt – aber das Telefon von Pétain war verschwunden. Nun haben wir es wieder. Prost.«
     Wir tranken. Brück räusperte sich. »Ich muss euch ein Geständnis machen. Ich habe unseren guten Alain nicht ohne Hintergedanken
     weggeschickt. Ich muss was loswerden.«
    Louis Straßer stand der Mund offen vor Staunen.
    »Alain ist ein guter Knochen – aber wenn es um Politik geht, na ja, dann sollte ich mich doch nicht auf seine Verschwiegenheit
     verlassen, nicht wahr, Louis?«
    Straßer nickte heftig. Meine Meinung dazu schien gar nicht gefragt zu sein.
    Brück trank sein Glas aus. Er schnalzte mit der Zunge.
    »Ein göttliches Gesöff. Als hätte der Herrgott in die Champagne gepisst.«
    Der Veuve Clicquot war wirklich vorzüglich. Viel zu schade für diese Säufer.
    »Und wir haben diese Gabe vor unserer Tür. Männer, was brauchen wir mehr zum Glück: Champagner am Morgen, Frauen, die verrückt
     nach uns sind ...«
    Ich verschluckte mich beim Trinken. Brück klopfte mir auf den Rücken.
    »Das werden Sie auch noch lernen. Champagner trinken, meine ich.« Er goss nach und wurde feierlich: ». .. und es gehört noch
     etwas Drittes dazu: der soziale Friede. Und damit haben wir ein Problem in Schauren.« Er tippte aufgebracht auf den Artikel
     im ›Le Républicain‹. »Es gibt überdurchschnittlich viele Arbeitslose bei uns. Das ist eine soziale Bombe. Menschen ohne Arbeit
     sind anfällig für Scharlatane. Nun, bisher konnte ich es ja verhindern, dass sie uns eine Kaserne mit Schwarzfüßen vor die
     Nase setzen, wie es sie jetzt im Elsass überall gibt. Das wäre unser Ende. Dann kämen die Scharfmacher aus Straßburg und Metz,
     die Le Pens und Mégrets. Solchen Seelenverkäufern |145| gegenüber sind unsere Schaurener doch hilflos – vor allem wenn sie keine Arbeit haben und verbittert sind. Die würden uns
     in Scharen wegrennen, und im Nu hätten wir einen schwachsinnigen, rechtsradikalen Metzger aus Bitche oder einen perversen
     Schullehrer aus Niederbronn im Rathaus sitzen. Und was machen wir dann – mit unseren gewachsenen Strukturen, Männer?«
    Louis schaute mich ratlos an und zuckte mit den Achseln.
    »Wie ihr dann eure Arbeit anständig machen wollt, weiß ich nicht. Die Schwarzfüße klauen wie

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