Bollinger und die Barbaren
Kennzeichen.«
Ich wischte die Tafel sauber und ging in mein Büro.
N och am gleichen Tag fuhr ich nach Metz. Ich hatte Glück: Der Staatsanwalt hatte gerade keinen Termin vor Gericht. Er empfing
mich in aufgeräumter Stimmung.
»Eine gentechnische Analyse wollen Sie? Aber warum denn das?«, fragte Dr. Emile Santini.
Ich hatte ihn schon einmal kurz gesehen. Bei der feierlichen Verabschiedung des letzten Polizeidirektors der Stadt. Er war
in |178| meinem Alter, ein drahtiger Südfranzose mit italienischen Vorfahren, der gern englisch geschnittene Anzüge trug, die ihm alle
einen Tick zu klein waren, sodass er etwas marionettenhaft wirkte. Sein Gesicht war scharf geschnitten. Obwohl zwei tiefe
Furchen seine Wangen teilten, würde man ihn als einen schönen Mann bezeichnen. Er selbst war von sich und seiner gepflegten
Erscheinung jedenfalls sehr überzeugt. Aber auf mich wirkte er viel zu verkrampft. Er schien von tausend Pflichten erdrückt
zu werden und erwartete deshalb von einem einfachen Polizisten wie mir Dankbarkeit dafür, dass er seine Zeit opferte.
»Ich habe Hinweise darauf, dass wir es mit einem Mordfall zu tun haben, monsieur le procureur .«
Santini schwieg eine Weile. Dabei tippte er mit seinem Kugelschreiber nervös auf den Schreibtisch.
»Womit wollen Sie denn die genetischen Daten vergleichen? Sie wissen ja, unsere Datenbanken umfassen bisher nur Schwerverbrecher,
die schon in irgendwelche Ermittlungsverfahren verwickelt waren.«
»Wir haben in Schauren eine Familie. Kleinkriminelle. Ich bin mir fast sicher, dass der Tote ein Verwandter von ihnen ist.«
»Kleinkriminelle? Aus Schauren? Was versprechen Sie sich denn davon?«
»Der Fall reicht weit in die Vergangenheit zurück. Bis in die Kriegszeit. Es geht um Verbrechen der SS an der Zivilbevölkerung.«
Er wurde hellhörig. »Sie sind doch Deutscher, oder?«
»Ja. Warum?«
»Und da wollen Sie diese Schweinereien aufwühlen?«
»Für mich spielt die Nationalität keine Rolle. Ich bin Polizist.« »Aha. Gut, dann sorgen Sie dafür, dass Ihre Kleinkriminellen
eine Genprobe abgeben. Wenn Sie die haben, melden Sie sich wieder.«
»Aber ...«
»Bis dann, Herr Bollinger.«
|179| D ie Hagenaus hatten kein Telefon. Ich hätte zu ihnen rausfahren müssen. Doch das wollte ich nicht. Wegen der Erinnerung an
Agneta. Und weil ich nicht wusste, in welcher Verfassung sie waren. Sie nahmen sicher an, ich hätte etwas mit dem Verschwinden
von Charles’ Frau zu tun.
Ich rief von Metz aus Alain Miller an und bat ihn, mir die Aufgabe abzunehmen. Doch er sträubte sich.
»Ich bin wegen Ihres Sharan ein Stück weitergekommen, Miller. Noch heute telefoniere ich mit jemandem aus Saarbrücken ...«
Das half.
Während Alain Miller zu den Hagenaus unterwegs war, rief ich Dr. Backes an. Ich war etwas verärgert, weil er sich immer noch
nicht gemeldet hatte. Vor einem Monat hatte er mir versprochen zurückzurufen. Aber ich hatte nichts von ihm gehört.
»Bollinger, alter Freund, wie geht’s drüben bei den Franzosen?«
»Ich komme voran.« Ich gab mir Mühe, dienstlich zu klingen. »Ich brauche Ihre Hilfe. Es geht um einen schweren Diebstahl.
Wahrscheinlich eine polnische Bande.«
»Und?«, fragte Dr. Backes. Ich spürte, dass ich ihm nicht gelegen kam.
»Es hat diesmal einen Kollegen getroffen. Sie haben ihm die Sitze aus seinem neuen Sharan geklaut.«
Dr. Backes schwieg.
»Mir ist die Sache deshalb wichtig, weil ich den Kollegen besonders schätze ...«
»Und was wollen Sie dann von mir?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass eine Anfrage bei Europol einen Hinweis über den Verbleib des Diebesguts erbringen könnte.«
Backes seufzte. »Aber, Bollinger, das können Sie doch selbst machen.«
»Ja, ich weiß. Aber erfahrungsgemäß hat so eine Anfrage mehr Erfolg, wenn sie von einer Position wie der Ihren erfolgt. Ich
bin ja nur der Leiter eines kleinen Grenzreviers.«
|180| Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass ihm das schmeichelte.
»Bollinger, haben Sie in diesem Kaff nichts anderes zu tun als hinter Autositzen herzujagen?«
»Aber ich dachte, ich könnte ...«
»Bitte konzentrieren Sie sich auf Ihre Arbeit! Sie wissen, wie wichtig das ist. Sie müssen einen guten Eindruck hinterlassen.
Es steht viel auf dem Spiel.«
»Ich weiß. Bitte entschuldigen Sie meinen Anruf.« Enttäuscht ging ich in ein kleines Café hinter dem Justizpalast, um dort
auf den Rückruf von Miller zu warten.
Ich hatte
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