Bomann, Corinna - Clockwork Spiders
seiner Stimme war wackelig. »Also dachte ich, dass Sie das ebenso wie alles andere über mich herausgefunden haben.«
»Sie vergessen, dass ich nicht wie die bin, vor denen Sie geflohen sind. Ich wollte wissen, wer Sie sind. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich in der Vergangenheit einer Person herumstochere, bis sie nackt und bloß vor mir steht. Also frage ich Sie jetzt. Wollen Sie mir davon erzählen?«
Alfred zögerte einen Moment. Seine Nachlässigkeit hatte ihn in die Lage gebracht, Violet Adair helfen zu müssen. Eigentlich hatte er ein ruhiges Leben führen wollen, nur um dann einsehen zu müssen, dass es so etwas wie Ruhe nicht gab. Wenn er ehrlich war, gefiel es ihm auch besser, nachts umherzustreifen, anstatt die Abende in seiner Kammer über der Wohnung seiner Herrschaft zu verbringen. Gewohnheiten und Talente konnte man nicht einfach abschütteln. Und mittlerweile hegte er echte Sympathie für die junge Frau, die für ihn noch vor ein paar Jahren eine unerträgliche Nervensäge gewesen war.
»Natürlich gibt es Menschen, die ich liebe. Wegen einem von ihnen hatte ich mich entschlossen, mein altes Leben hinter mir zu lassen.«
»Eine Frau?«, hakte Violet nach, woraufhin er nickte.
»Ja, eine Frau. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Sie die Geschichte hören wollen.«
Violet hob mit einem feinen Lächeln die Augenbrauen. »Sehe ich so aus, als würde ich eine gute Geschichte verschmähen?«
Alfred kaute auf seiner Unterlippe, als bereute er, ihr das Angebot gemacht zu haben.
»Sie war die Tochter eines Mannes, der meinen Boss erpressen wollte und den ich töten sollte. Doch das Mädchen kam mir in die Quere. So eine schöne Frau hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Ich verliebte mich in sie und brachte es nicht übers Herz, ihren Vater umzubringen. Dafür bekam ich natürlich höllischen Ärger und eine ziemlich empfindliche Strafe. Beim Anblick meines Rückens würden Sie erschrecken, denn er ist voller Peitschennarben.«
»Wie barbarisch!«, entfuhr es Violet, und Zorn ballte sich in ihrer Magengrube. Warum hatten es die Menschen in so vielen Jahren noch nicht geschafft, das Verbrechen einzudämmen und zu vernichten?
»Ja, das war es. Danach beschloss ich, meinem Boss den Rücken zu kehren und mit dem Mädchen zu fliehen. Doch ich kam zu spät. Einer meiner Kollegen hatte den Vater getötet und sie gleich mit – als Strafe für mich. Dieser Mann war mein letzter Mord, dann tauchte ich unter. Jetzt verstehen Sie vielleicht, warum.«
»Ja, das verstehe ich, Alfred«, entgegnete Violet erschüttert. »Und glauben Sie mir, auch wenn Sie nicht ganz freiwillig mein Gehilfe geworden sind, so haben Sie jetzt die Gelegenheit, ein paar Dinge wiedergutzumachen.«
»Die Rettung der Königin wird mir May nicht wiederbringen.«
»May hieß sie?«
Alfred nickte und senkte den Kopf.
»Ein sehr schöner Name.«
»Still!«, zischte Alfred plötzlich und zog Violet mit sich hinter einen riesigen Engel, der auf seinen Armen eine sterbende Frau hielt. Der Schatten des Grabmals war glücklicherweise groß genug, um sie beide zu verbergen.
Bevor Violet fragen konnte, was los war, hörte sie es auch. Schritte knirschten über den Kieselweg! Irgendwer näherte sich von Norden der Gruft, die sie ins Auge gefasst hatten.
Wer war außer ihnen noch so spät in Highgate? War ihnen vielleicht noch jemand von Lady Sharpes Leuten gefolgt?
Alfred bedeutete ihr, still zu sein und sich nicht zu bewegen, dann schob er seinen Kopf vorsichtig hinter der Statue hervor.
Der Mann ging zunächst unbeirrt weiter, stockte dann allerdings, als würde er lauschen. Alfred zog sich wieder hinter den Stein zurück und schloss kurz die Augen. Nach einer Weile setzte der Mann sich wieder in Bewegung und schritt auf eine der größeren Grüfte zu.
Hinter dieser tauchte auf einmal ein zweiter Mann auf.
Hat er uns vielleicht beobachtet oder belauscht?, schoss es Violet durch den Kopf. Dann offenbarte sich allerdings, dass er nicht sie im Visier gehabt hatte.
»Ich habe bereits auf Sie gewartet, Sir«, sagte er zu dem Hinzukommenden.
»Bestens!«, entgegnete der Mann freudig. »Ich hoffe, Sie haben dabei, was ich bestellt hatte.«
»Natürlich.« Der Mann griff in seine Jackentasche und zog ein kleines Holzkästchen hervor, dessen Messingbeschläge kurz im Mondschein, der sich durch die Wolken drängte, aufblitzte. »Wollen Sie hineinschauen?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich denke, das ist nicht nötig.«
»Aber
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