Bombenspiel
Stimmen. Er ging von Mund zu Mund, und einige, die Mutigsten unter den Feigen, deuteten auf Yongama. Der Name drang bis an die Ohren des Jungen und grub sich in seinem Gedächtnis fest. Yongama stand in der Mitte des Kreises, der sich um die seltsame Vorstellung gebildet hatte, und starrte den Jungen grinsend an.
Dieses Gesicht war das Letzte, was er sah, bevor ihm der schwarzgraue Reifen auf die Schultern gelegt wurde. Es war die Fratze, die ihn später in jeder Nacht in seinen Träumen quälte, die ihn anlachte, auslachte, verhöhnte. Die Fratze, zu deren Gesicht er den Namen kannte.
Der Gummi streifte seine abstehenden Ohren und versperrte ihm die Sicht. Er hörte einen Aufschrei aus der Menge, hörte das glucksende Geräusch und roch im selben Augenblick das Benzin. Er fühlte die Feuchtigkeit an seinen Ohren und spürte, wie er eine nasse Hose bekam. Die Angst, die in ihm hochstieg, entlud sich in einem Jaulen, Tränen rannen ihm Wangen und Hals hinunter, zu oft hatte er schon von dem gehört, was sie mit ihm vorhatten.
Keiner würde ihm helfen, hier in den Slums, wo die Toten tagelang liegen blieben, und von den Hunden und Raben gefressen wurden.
Und sein Vater?
›Und, was ist?‹, hörte er Yongama fragen. Vergeblich wartete der Sohn auf die Reaktion seines Vaters. Er hörte das Zischen des Streichholzes und spürte eine Sekunde später die Hitze an seinem Kopf. Das Benzin auf dem Autoreifen hatte Feuer gefangen, der Gummi begann zu schmelzen und versengte ihm augenblicklich die Haare. Das Gemisch aus brennendem Gummi und Benzin setzte sich in seiner Nase fest, bis die Hitze jede Geruchswahrnehmung unmöglich machte.
Seine Augen glühten, seine Ohren brannten, der Schmerz der quälenden Tortur entlockte ihm Laute, zu denen eine menschliche Stimme nicht fähig schien. Als die Hitze unerträglich wurde und sich die schwarze heiße Breimasse wie glühende Lava in seine Haut fraß, hörte er seinen Vater etwas rufen. Dann schwanden ihm die Sinne.
Als er wieder zu sich kam – er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war – lag er in einer Hütte und trug einen nassen Verband um seinen Kopf. Ein alter Mann kniete neben ihm und kühlte seine versengten Schultern und die schmerzenden Oberarme. Langsam kehrten Bruchstücke der Erinnerung zu ihm zurück.
Sein Vater … Der Mann mit dem Autoreifen … Das Feuer … Der, den sie Yongama nannten … Der brennende Gummi …
Als er die Augen aufgeschlagen hatte, war er in der Lage zu sehen, das hatte er sofort registriert, dann fuhr er sich mit den schmerzenden Händen über seinen Kopf. Dort, wo seine Ohren einmal waren, fühlte er vertrocknetes Blut unter dem Verband und wo die nassen Lappen auf seinem Kopf eine Lücke ließen, stieß er auf den brennenden Schmerz von offenem Fleisch auf einem kahlen Schädel. Er versuchte zu sprechen und war fast verwundert, als es gelang. ›Mein Vater?‹, röchelte er.
›Du lebst‹, murmelte der Alte. ›Ich habe dir die Ohren abgeschnitten, um den Reifen überhaupt von deinen Schultern zu bekommen. Sie waren daran festgewachsen. Du wirst mit den Narben leben müssen.‹
›Mein Vater?‹, wiederholte er.
›Sie sind alle tot. Sie haben sie in eurer Hütte eingeschlossen und Feuer gelegt.‹
›Und ich?‹, fragte er und ließ den Tränen freien Lauf. ›Warum lebe ich?‹
›Sie haben dich im Dreck liegen lassen, als du umgefallen bist. Ich habe einen Eimer Wasser über deinen Kopf gegossen, und sie haben sich nicht mehr um dich gekümmert. Nur was dein Vater sagte, hat sie interessiert. Dann haben sie uns verjagt. Als ich zurückkam, war von eurer Hütte nur noch Rauch und Asche übrig. Dann habe ich dich aus dem Reifen befreit und mit zu mir genommen. Ich wusste, dass du noch lebst.‹
›Aber warum? Warum lebe ich und alle anderen sind tot?‹
›Damit du Rache nehmen kannst, mein Junge. Du wirst dich rächen, sobald die Zeit reif dafür ist‹, prophezeite der Alte und drückte ihn an sich.
Daran dachte der Tswana, den sie Bushman nannten, als er jetzt das Gesicht Yongamas wieder vor sich sah. Er hatte Kontakt zu ihm aufgenommen. Die Rache war nah.
Doch zunächst musste er seinen Auftrag erledigen.
Sonntag, 30. Mai 2010, Herbst auf dem Tafelberg, Kapstadt - Noch 11 Tage
Henning Fries war das, was man einen Naturliebhaber nennt. Er nutzte seine Zeit in Südafrika auch, um die Naturschönheiten des Landes kennenzulernen. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft in Durban war er im Hluhluwe-Umfolozi
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