Boneshaker - Priest, C: Boneshaker - Boneshaker
Umgebung und die neue Kleidung weckten in ihm das Bedürfnis, sein Benehmen, seine Ausdrucks weise und sein Aussehen entsprechend anzugleichen – auch wenn das ziemlich viel Arbeit auf einmal war. Darum fügte er hinzu: »Was gibt es denn?«
»Brathähnchen, glaube ich. Als Beilage wahrscheinlich Kartoffeln oder Nudeln.«
Dem Jungen lief das Wasser im Mund zusammen. Er wusste schon nicht einmal mehr, wann er das letzte Mal ein Brathähnchen auch nur gesehen hatte. »Ich komme!«, rief er mit einer aufrichtigen Begeisterung, die alle Befürchtungen, die noch in seinem Hinterkopf herumgeisterten, beiseitefegte. Angelines Warnung und alles Unbehagen lösten sich in Nichts auf, als er Yaozu auf den Korridor folgte.
Durch eine weitere unverschlossene Tür, diese mit geschnitz ten Drachen an allen vier Ecken, gelangten sie in einen Raum, der aussah wie ein fensterloser Salon, und dahinter lag ein Speisesaal, der einem Schloss alle Ehre gemacht hätte.
Eine lange, schmale Tafel mit einem blitzweißen Tischtuch darauf erstreckte sich durch den Saal. Die Stühle hatten hohe Lehnen, und nur zwei Plätze waren gedeckt – nicht an den gegenüberliegenden Enden, denn dann hätten die Speisenden einander kaum mehr sehen können, sondern über Eck am Kopf der Tafel.
Minnericht hatte bereits Platz genommen. Er flüsterte über die Schulter hinweg mit einem merkwürdig gekleideten Schwar zen, der auf dem linken Auge blind war. Zeke konnte nicht hören, was sie sagten. Dann entließ Minnericht seinen Mitverschwörer und wandte sich zu Zeke um.
»Du musst am Verhungern sein. Du siehst jedenfalls halb verhungert aus.«
»Ja«, sagte er und setzte sich auf den Stuhl vor dem zweiten Gedeck, ohne sich lange mit der Frage zu beschäftigen, wo Yaozu wohl speiste. Es war ihm egal. Ihm war sogar egal, ob Minnericht ein falscher Name war und ob dieser Mann nun tatsächlich sein Vater war oder nicht. Ihn interessierte nur das goldbraune, saftige Fleisch des zerlegten Federviehs auf seinem Teller.
Neben dem Teller sah er eine Stoffserviette, die zu einem Schwan gefaltet war. Zeke ignorierte sie und griff nach der Keule.
Ohne die Essmanieren des Jungen zu kritisieren, nahm Minnericht eine Gabel zur Hand und sagte: »Deine Mutter hätte dich besser ernähren sollen. Mir ist bewusst, dass das Leben am Stadtrand hart ist, aber ein Junge im Wachstumsalter muss anständig essen.«
»Sie ernährt mich auch gut«, sagte er mit vollem Mund. Doch dann blieb ihm etwas an Minnerichts Ausdrucksweise zwischen den Zähnen hängen wie ein Knöchlein von einem Flügel, und er wollte gerade um Klarstellung bitten, als Minnericht etwas Bemerkenswertes tat: Er nahm seine Maske ab.
Es war ein komplizierter Vorgang, jede Menge Schnallen und Schnappverschlüsse mussten geöffnet werden, und das dauerte eine Weile. Aber als der letzte Riemen gelöst war und die schwere Stahlkonstruktion entfernt war, kam darunter endlich ein menschliches Gesicht zum Vorschein.
Es war kein schönes Gesicht: Vom rechten Ohr bis zur Oberlippe erstreckte sich eine grausige Brandnarbe von der Größe eines Handabdrucks. Sie verschloss das eine Nasenloch und verzerrte die Muskeln um Minnerichts Mund herum. Ein Auge war nur halb offen, weil sich die knotige Narbe bis über das Lid erstreckte.
Zeke versuchte, Minnericht nicht anzustarren, aber er konnte nicht anders. Aber aufhören zu essen konnte er auch nicht. Sein Magen hatte die Kontrolle übernommen, steuerte Zekes Mund und Hände, und es kam gar nicht infrage, das Hähnchen beiseitezulegen.
»Du kannst ruhig schauen«, sagte Minnericht. »Und du darfst dich durchaus geschmeichelt fühlen, denn die Leute, die wissen, wie ich unter dieser Maske aussehe, könnte ich an den Fingern einer Hand abzählen. Es gibt nur zwei Räume, in denen ich mich ohne sie wirklich sicher fühle, das sind zum einen dieser Speisesaal und zum anderen meine Privatgemächer.«
»Danke«, erwiderte Zeke und hätte fast ein Fragezeichen hinter das Wort gehängt, weil er nicht wusste, ob er wirklich geschmeichelt oder eher besorgt sein sollte. »So schlimm sieht es gar nicht aus«, log er. »In der Vorstadt habe ich Leute gesehen, denen der Fraß schlimmer zugesetzt hat.«
»Das sind keine Fraßnarben, sondern ganz normale Verbrennungen, was schlimm genug ist.« Er öffnete seinen steifen Mund und begann zu essen, mit weit kleineren Bissen als der hungrige Junge, der sich die ganze Keule auf einmal in den Mund gestopft hätte, wenn er allein gewesen
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