Bony und die weiße Wilde
Gesicht war leicht gerötet, ihre dunklen Augen glänzten.
»Na, da seid ihr ja - und was für ein schöner Tag heute ist!« rief die füllige, schreiend bunt gekleidete Mrs. Sarah Rhudder. »Eine Ewigkeit, seit ihr das letzte Mal hiergewesen seid, Emma. Wie geht es euch?«
Inzwischen schloß Bony die Gartentür und musterte mit einem raschen Blick den Garten, der mit planlos angepflanzten Blumen überladen wirkte. Dann sah er in blaßbraune Augen, die weit auseinander in einem blassen, breiten Gesicht mit einem eckigen, energischen Kinn standen. Sarah bot Bony nicht die Hand. Er verbeugte sich darum nur knapp und bedankte sich für die Einladung. Sein erster Eindruck von dieser Frau: Kaltes Wasser auf dem Grund eines Brunnens.
Dann wandte er sich dem alten Jeff zu. Der Mann war einen Meter achtzig groß. Man konnte ihn nicht als ausgesprochen dürr bezeichnen, aber jedenfalls war er von hagerer Gestalt. Sein weißes, welliges Haar hob sich steil über die schmale, hohe Stirn, wie bei einem eingeborenen Medizinmann. Sein Gesicht sah aus wie verwittertes Holz. Er trug ein altmodisches Hemd mit steifen Manschetten und breitem Kragen, darüber eine Weste, die aus dem gleichen Stoff war wie die Hose. Erster Eindruck: ein den Stürmen trotzender Karribaum.
Jeff hielt Bony die linke Hand entgegen, mit der rechten stützte er sich auf einen Krückstock. Sein Händedruck war fest. Er brachte ein kleines Lächeln zustande, das seine grauen
Augen aufleuchten ließ trotz der Schmerzen, von denen er offensichtlich geplagt war.
»Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen die Linke reiche, Nat. Meine Ischias! Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir Sie Nat nennen? Hier bei uns pfeift man auf den >Mister<. Bei Ihnen wird es nicht anders sein.«
»Allerdings«, erwiderte Bony lachend.
Die beiden Frauen waren bereits an der breiten Verandatreppe. Jeff drehte sich zu Matt um.
»Na, wie geht’s denn, Matt?« fragte er beinahe schüchtern.
»Ach, nicht schlecht. Und wie steht’s bei dir?«
Der Gastgeber führte seine Besucher einen gepflegten Weg entlang, wobei er sehr langsam ging und offensichtlich ein wenig lahmte. Er unterhielt sich mit Matt über die Viehpreise, so daß Bony Muße hatte, sich umzuschauen. In Abständen waren zu beiden Seiten des Weges Walfischwirbel aufgestellt worden, auf die man große rote Schalen gesetzt hatte. An der Verandatreppe bildeten Walrippen, je rechts und links angebracht, den bogenförmigen Abschluß des Geländers. Diese Überbleibsel eines Walfisches waren von grauer Farbe und offensichtlich sehr alt. Jeff hielt vor der Treppe kurz an, und Bony konnte von hier aus den leuchtenden Garten und die Hausfront überblicken. Das Haus schien modernisiert worden zu sein. Seine Vorderfront war auf die Lagune und gegen die Weststürme gerichtet. Links neben der Treppe stand eine Bank aus Schwarzholz, zu deren beiden Seiten Galionsfiguren angebracht waren.
»Die linke stammt von der >Hesperus< und wurde 1838 angespült. Die andere gehörte zu einer holländischen Dreimastbark, zu der >Van Doren<, die hier im Jahre 1818 kenterte«, erklärte Jeff oben von der Verandabrüstung aus. Bony blickte zu ihm auf und erwiderte, daß diese Stücke tatsächlich einmalig seien.
»Früher erlitten die Ostindienfahrer oft vor dieser Küste Schiffbruch«, fuhr Jeff fort. »Sie segelten um das Kap der Guten Hoffnung und dann zweitausend Meilen genau nach
Osten, um dann nach Norden abzubiegen, und zur indischen oder chinesischen Küste weiterzufahren. Aber damals war die Navigation noch ziemlich ungenau, und so gerieten sie oft zu beiden Seiten von Australiens Fronttür zu dicht an Land und liefen auf. Kommen Sie mal herauf, dann werde ich Ihnen etwas zeigen.«
Als Bony die Treppe hinaufstieg, hörte er Emma gerade sagen: »O ja, wir brauchen dringend Regen!« Und Sarah Rhudders Erwiderung: »Aber es regnet eben nicht, und die Verliebten und die Blumen welken dahin.«
Der alte Jeff winkte Bony zur Hauswand, wo die überraschendsten Dinge standen. Da lehnten kupferne Kochkessel, eine Schiffsglocke, eine Schiffslaterne, eine Kanone - aber am seltsamsten war wohl eine Vogelstange.
»Ein paar Sachen, die von meinen Vorfahren gesammelt wurden«, erklärte Jeff. »Das meiste fand man in Höhlen, in denen die Schiffbrüchigen lebten, bis sie von den Schwarzen entdeckt wurden. Diese Vogelstange dürfte eine interessante Geschichte erzählen können. Die Querstange ist aus solidem Gold, der Ständer aus Kupfer und die
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