Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
Lautstärke. Eliza und ihre Widersacherin hatten auf der Bühne eine kreisrunde Freifläche geschaffen und steuerten auf ihren großen Abgang zu.
Sophia ließ den Blick kurz über das Publikum schweifen, als bemerkte sie zum ersten Mal, dass es da war. Ihr Mundwinkel zuckte.
»Ich schätze es gar nicht, meine Angelegenheiten derart öffentlich zu erledigen«, rief sie über die Musik hinweg, die sich strikt weigerte, ein Ende zu nehmen. »Und offen gesagt, meine Liebe, das alles wäre so viel einfacher, wenn wir Hosen trügen. Was halten Sie von einem Wiedersehen in praktischer Kleidung?«
Eliza wollte gerade etwas auf den Vorschlag erwidern, während sie allmählich die linke Hand zum Revolver schob, da drehte sich diese Frau einfach um und ging, als sei ihr Anliegen bereits eine ausgemachte Sache. Es dauerte nur einen Herzschlag lang, nur den Bruchteil einer Sekunde, bis Eliza erkannte, was Sophia eigentlich im Schilde führte. Die brennende Fackel eines verängstigten Chormitglieds wechselte den Besitzer.
Der ewige Wunsch nach Authentizität würde eine Katastrophe anrichten.
Flackernd sauste die Fackel durch die Luft, genau auf die zerschmetterten Gaslampen der Bühnenbeleuchtung zu. Heiliges Kanonenrohr! Der vordere Teil der Bühne schwamm förmlich in Gas und benötigte kein Dynamit, um genauso gewaltig zu explodieren wie die Arztpraxis in Charing Cross. Eliza traf die Hitze wie ein Schlag, und sie wurde in den Orchestergraben geschleudert. Der Knall hallte durch das gesamte Opernhaus, verstärkt durch die vortreffliche Akustik.
Mit zerrissenem Kleid und verrußt fand sich Eliza der Länge nach auf zwei überraschten Cellisten und ihren Instrumenten wieder. Die beiden Musiker blickten einander fragend an, unsicher, welches Verhalten in dieser Situation wohl angemessen wäre. Die Stille nach der Explosion war überwältigend – und zum ersten Mal an diesem Abend gab niemand irgendein Gejaule von sich. Die Cellisten entpuppten sich als vollendete Kavaliere und halfen ihr stillschweigend, die schwelenden Stellen ihres Kleides auszuschlagen.
Behutsam löste Eliza sich aus ihrer verfänglichen Umarmung und stand vorsichtig auf. Dann ordnete sie ihr Haar, so gut es eben ging, und schaute zu den Logen hinauf. Ja, da stand Wellington, und sein Gesicht war weiß wie italienischer Marmor. Es stimmte – die Leute starrten mit offenem Mund, wenn man sie nur hinlänglich schockierte.
Eliza winkte ihm kurz zu, gerade als vereinzelter Applaus durch die Ränge lief, und rief zu ihm hinauf: »Liebling, sei ein Schatz und ruf die Kutsche, ich denke, die Vorstellung ist aus.«
Kapitel 19
In welchem Mr. Books ein wenig über koloniale Gastfreundschaft erfährt
Mit einer leisen Melodie auf den Lippen marschierte Wellington Books durch die Straßen Londons – der schnelle Gang tat Körper und Geist unendlich gut. Die Melodie klang ihm noch von der gestrigen Macbeth-Inszenierung im Ohr, und sein federnder Gang rührte von den Erkenntnissen her, die er mithilfe des Auralspektivs erhalten hatte.
Er hüpfte förmlich die Treppe zu der großen, kunstvoll verzierten Tür des Hauses hinauf, in dem Eliza D. Braun wohnte. Es sah bei Tage viel beeindruckender aus als bei Nacht. Tatsächlich wirkte das ganze Gebäude weitaus imposanter, als er es in Erinnerung hatte. In einem hinteren Winkel seines Gehirns entfaltete sich ein wahrer Wirbel neugieriger Fragen. Während er die Treppe hinaufging, über die er seine Kollegin erst kürzlich getragen hatte, stieß ihm auf jeder zweiten Stufe die Walze in seiner Tasche gegen die Hüfte. Vor der Wohnung angekommen, ahmte er mit dem Türklopfer das Motiv von Verdis »S’allontanarono!« nach.
Die Tür wurde geöffnet, und Wellington trat einen Schritt zurück. Das Gesicht, das ihn empfing, war mitnichten das von Eliza D. Braun, sondern sommersprossige, von Natur aus rosige Pausbacken und eine zottige, feuerrote Mähne unter einem Häubchen, das sie kaum bändigen konnte.
Auch die Stimme, die zu ihm sprach, klang keinesfalls, als käme sie aus den Kolonien – sie kam eher aus dem East End. »Mr. Wellington Thornhill Books, richtig?«
Er räusperte sich. »Äh … ja?«
»Sehr wohl, Sir. Kommen Sie bitte herein. Die gnädige Frau erwartet Sie im Salon.«
Die gnädige Frau? Im Salon? Das musste einer der Räume sein, die er noch nicht erkundet hatte. Schon jetzt war die Geräumigkeit von Elizas Domizil ungemein beeindruckend. »Ach, ja, natürlich.« Dann schnippte Wellington mit den
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