Borderlands
der
Mörder Donaghey die Pulsadern aufgeschlitzt und ihn zusehen lassen, wie das
Blut ihm über die Hände und die Finger lief und auf den Boden tropfte. Die
vitalen Reaktionen im Umfeld der Wunden deuteten darauf hin, dass er etwa
weitere fünfundzwanzig bis dreißig Minuten gelebt und zugesehen hatte, wie das
Leben aus ihm herausgetropft war; dabei hatte er so heftig gegen seine Fesseln
angekämpft, dass er sich drei Rippen gebrochen hatte.
»Irgendwelche
Spuren?«, fragte Williams, als wir zu Ende gelesen hatten.
»Keine«,
erwiderte Daly, trank seinen Kaffee aus und begann, den Rand seiner Papptasse
umzuknicken.
»Gar nichts?«,
fragte ich nach.
»Nein.
Überhaupt nichts. Ratsy Donaghey wurde ermordet, aber wir wissen nicht, von
wem, und ehrlich gesagt, es ist uns auch scheißegal.«
Das
überraschte mich kaum: Donaghey war ein Berufsverbrecher, der sein Geld
jahrelang mit Drogenhandel verdient hatte. Kein Polizist würde Energie auf
Donaghey und seinesgleichen verschwenden, solange die Kriminalitätsrate stieg
und die Zahl der Neuzugänge bei der Polizei sank.
»Ich will
Ihnen eine Geschichte über Ratsy Donaghey erzählen. Er hat seine kleine Bude
hier vor fünfzehn Jahren gekauft, dazu eine in Letterkenny und zwei andere in
Sligo und Cork. Er hat Gratisdrogenproben an Zwölfjährige verteilt, und dann
hat er sie Autos klauen lassen; er hat das Radio ausgebaut, und die Kids
bekamen eine kostenlose Spritztour. Wenn sie die Autos wieder abstellten, hat
Ratsy gebrauchte Spritzen von irgendwelchen HIV -infizierten Junkies von unten durch die
Polster des Fahrersitzes gestochen. Irgendein armer Kerl in Uniform findet das
gestohlene Auto, setzt sich rein, um es zu überprüfen oder zur Polizeiwache zu
fahren, kriegt ne dreckige Nadel in den Arsch und hat Aids, ohne was dafür zu
können. Das war Ratsy Donaghey.«
Wieder Aids.
Warum sprachen alle ständig über Aids? Das war mir vorher nie aufgefallen. Ich
sagte mir, dass ich ja eine Entwarnung bekommen hatte. Aber eine innere Stimme
erinnerte mich daran, dass ich mich noch drei Monate lang gedulden musste, ehe
ich Gewissheit hätte.
»Trotzdem ist
es ein Verbrechen«, wandte Williams ein, wenn auch wenig überzeugend. Ich
benötigte einen Augenblick, um die Unterhaltung zu verarbeiten und zu
begreifen, was sie meinte.
»Das einzige
Verbrechen in diesem Fall wäre, das Geld des Steuerzahlers bei der Fahndung
nach jemandem zu vergeuden, der uns einen Gefallen getan hat. Und da Sie ihn
schon verteidigen, interessiert es Sie vielleicht, zu erfahren, was es mit der
ballistischen Übereinstimmung auf sich hat, nach der Sie gefragt hatten – wir
haben es nie jemandem anhängen können, aber Ratsy Donaghey war unser
Hauptverdächtiger. Hat einen Sechzigjährigen überfallen, der gerade die
Tankstelle abschließen wollte; hat einen Schuss über seinen Kopf abgefeuert,
als der sein Geld nicht rausrücken wollte; der Mann bekam einen Herzinfarkt. Er
hat es überlebt, sonst hätten wir noch einen Mordfall am Hals. Ratsy Donaghey
war ein Stück Scheiße, ein Segen, dass wir ihn los sind.«
»Es wird
andere Ratsy Donagheys geben«, meinte ich.
»Gibt es
schon. Aber wenn sie sich gegenseitig abschlachten, ersparen sie uns ne Menge
Arbeit.«
»Glauben Sie,
das war hier der Fall?«, fragte ich.
»Wahrscheinlich«,
erwiderte er. »Könnte ein unzufriedener Kunde gewesen sein, neue Konkurrenz, ne
Provo-Strafaktion. Ganz ehrlich, es ist mir scheißegal. Hauptsache, Ratsy hat
ordentlich gelitten, bevor er den Abgang gemacht hat.«
»Haben Sie
Zigarettenkippen oder andere Spuren gefunden?«, fragte ich.
»O nein. Alles
war abgewaschen, geputzt und blitzsauber. Keine Fingerabdrücke, keine Fasern,
nichts. Wer das auch war, es war ein Profi.«
»Na schön.«
»Und wo ist
die Verbindung zu Ihrem Fall?«, fragte er, lehnte sich zurück und streckte
sich.
»Vielleicht
gibt es keine. Ein Schmuckstück, das aus Donagheys Wohnung in Letterkenny
gestohlen wurde, ist aufgetaucht. Es hat was mit einem laufenden Fall zu tun.«
»Das ist
alles? Meine Güte, muss es in Lifford ruhig sein.«
»Das ist es
auch«, meinte Williams lächelnd. »Seine Waffe wurde vor ein paar Tagen bei
einem anderen Mord eingesetzt. Allerdings hat Ratsy sie wohl kaum selbst
benutzt.«
»Vielleicht
hat er sie verkauft. Vielleicht wurde sie zusammen mit dem Ring gestohlen, den
Sie erwähnt haben.«
»Vielleicht«,
räumte ich ein. »Besteht die Möglichkeit, dass wir uns Donagheys
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