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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Leidenschaft,
und es gelingt ihm gut, was er schon immer schreiben wollte und mußte, jedoch
nie vermochte, doch jetzt klappt es. Nur manchmal stört ihn ein junger Mann mit
schmalen Kirgisenaugen; er trägt einen offenen Mantel aus Rentierfell, wie er
in Sibirien oder im Ural getragen wird.
    Shiwago weiß genau, daß dieser
junge Mann der Geist seines Todes oder sagen wir einfach sein Tod ist. Aber wie
kann er sein Tod sein, wenn er ihm hilft, das Poem zu schreiben? Kann der Tod
etwa Nutzen bringen, kann er eine Hilfe sein?
    Sein Poem handelt nicht von.
Auferstehung und nicht von Grablegung, sondern von den Tagen, die dazwischen
liegen. Er schreibt das Poem »Verwirrung«.
    Er wollte schon immer
schreiben, wie drei Tage lang ein Sturm von wurmiger schwarzer Erde gegen die
unsterbliche Verkörperung der Liebe anrennt und antobt und sie mit seinen
Batzen und Klumpen bewirft, so wie die Brandungswellen des Meeres mit Wucht das
Ufer überrennen und unter sich begraben. Wie drei Tage lang der schwarze
Erdsturm wütet, angreift und zurückweicht. Und zwei gereimte Zeilen verfolgen
ihn:
     
    Froh, zu berühren und
    Wachsein zu spüren.
     
    Froh, ihn zu berühren, sind
Hölle, Zerfall, Zersetzung und Tod, froh, ihn zu berühren, sind aber auch der
Frühling und Magdalena und das Leben. Er muß erwachen. Er muß das Wachsein
spüren und aufstehen. Er muß auferstehen.
     
    Langsam wurde er wieder
gesund. Anfangs suchte er in seiner Glückseligkeit nicht nach Zusammenhängen,
sondern akzeptierte alles, erinnerte nichts und staunte nie. Seine Frau gab ihm
Weißbrot mit Butter, Tee mit Zucker und auch Kaffee. Er hatte vergessen, daß
dies jetzt nicht sein konnte, und freute sich über das schmackhafte Essen wie
über Poesie und Märchen - all das stand einem während der Genesung zu. Aber als
er wieder nachdenken konnte, fragte er seine Frau: »Wo hast du das alles her?«
    »Von deinem Granja.«
    »Wer ist Granja?«
    »Granja Shiwago.«
    »Granja Shiwago?«
    »Naja, dein Bruder Jewgraf aus
Omsk. Dein Halbbruder. Als du ohne Besinnung lagst, hat er uns oft besucht.«
    »Im Rentiermantel?«
    »Ja, ja. Du hast ihn bemerkt,
obwohl du ohne Besinnung warst? Er ist in irgendeinem Treppenhaus mit dir
zusammengetroffen, das hat er mir erzählt. Er wußte, daß du es bist, und wollte
sich vorstellen, aber du hast ihm solche Angst eingejagt! Er vergöttert dich,
liest immer wieder deine Sachen. Die Lebensmittel holt er scheinbar unter der
Erde hervor! Reis, Zucker, Rosinen. Er ist wieder nach Hause gefahren. Wir sollen
auch dorthin kommen. Er ist merkwürdig, geheimnisvoll. Ich glaube, er hat
irgendwie eng mit den Machthabern zu tun. Er sagt, man muß für ein oder zwei
Jahre die großen Städte meiden und >auf dem Land leben<. Ich habe mit ihm
über den Besitz der Krügers gesprochen. Er empfiehlt uns hinzufahren. Dort kann
man einen Garten anlegen und hat den Wald vor der Tür. Man darf nicht so
gehorsam zur Schlachtbank gehen wie ein Hammel.« Im April desselben Jahres
reiste die Familie Shiwago in den fernen Ural, auf das ehemalige Gut Warykino
unweit der Stadt Jurjatin.
     
    Siebenter Teil
     
    Unterwegs
     
    Ende März kamen die ersten
warmen Tage, trügerische Frühlingsboten, denen alljährlich eine starke
Abkühlung zu folgen pflegte.
    Die Gromekos bereiteten sich
in aller Eile auf die Reise vor. Gegenüber den zahlreichen Mietern, von denen
infolge der Wohnraumeinschränkung jetzt mehr im Hause waren als Spatzen auf der
Straße, wurden die Zurüstungen als Großreinemachen vor Ostern ausgegeben.
    Juri Shiwago war gegen die
Reise. Er behinderte die Vorkehrungen nicht, denn er hielt die Idee für
unrealisierbar und hoffte, sie im entscheidenden Moment scheitern zu sehen.
Aber die Sache kam voran und näherte sich dem Ende. Es war an der Zeit,
ernsthaft zu reden.
    Er berief den Familienrat ein
und sprach seiner Frau und dem Schwiegervater seine Zweifel aus.
    »Ihr meint also, ich habe
unrecht, und folglich fahren wir?« schloß er seinen Widerspruch. Seine Frau
ergriff das Wort.
    »Du sagst, wir müßten ein oder
zwei Jahre durchstehen, dann kämen die neuen Agrarverhältnisse in Ordnung, wir
könnten in der Moskauer Umgebung ein Stück Land beantragen und einen Garten
anlegen. Wie wir aber die Zwischenzeit überleben sollen, weißt du auch nicht.
Das wäre aber das Wichtigste, dazu möchte man schon was hören.«
    »Die reine Idiotie«,
unterstützte Alexander Gromeko seine Tochter.
    »Gut, ich gebe auf«, stimmte
Juri zu. »Mich

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