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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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abhauen! Ein Elend ist das mit Ihnen,
Sie sagen Tag und Nacht nicht ein Wort! Bestimmt haben Sie vor Traurigkeit die
Sprache verloren, weiß Gott. Worüber sind Sie denn traurig? Tante Katja
Ogryskowa haben Sie ohne böse Absicht aus dem Waggon gestoßen, Sie haben sie
mit der Hüfte gestreift, das hab ich selbst gesehen. Sie hat sich nichts getan,
sie ist aus dem Gras aufgestanden und weggelaufen. Onkel Prituljew auch. Wenn
sie uns einholen, sind wir wieder alle beisammen, was meinen Sie denn?
Hauptsache, Sie härmen sich nicht mehr, dann können Sie auch wieder Ihre Zunge
gebrauchen.«
    Pelageja
Tjagunowa stand auf, gab Wassja die Hand und sagte leise: »Komm, mein Schatz.«
     
    Mit
stöhnenden Waggons kroch der Zug auf hohem Bahndamm einen Berg hinauf.
Unterhalb wuchs ein junger Mischwald, dessen Wipfel die Höhe des Damms nicht
erreichten. Noch weiter unten lagen Wiesen, von denen das Wasser erst kürzlich
abgelaufen war. Auf dem Gras, in dem es sandige Stellen gab, lagen wüst
durcheinander Baumstämme, die für Bahnschwellen bestimmt waren. Wahrscheinlich
waren sie in der Nähe geschlagen worden, um geflößt zu werden, und das
Hochwasser hatte sie hierhergeschwemmt.
    Der junge
Wald am Fuß des Bahndamms war noch fast kahl wie im Winter. Die Knospen, mit
denen er über und über betropft war wie mit Wachs, wirkten überflüssig,
unordentlich wie Schmutz oder Schwellungen, und dieses Überflüssige,
Unordentliche, Schmutzige war Leben, das mit grünen Flämmchen die ersten Bäume
im Wald ergriff.
    Da und
dort streckten sich märtyrerhaft Birken, durchbohrt von den Zähnchen und
Pfeilchen der entfalteten frischen Blättchen. Wonach sie rochen, ließ sich
allein vom Anblick her bestimmen. Sie rochen nach dem, was an ihnen glänzte:
nach Harz, aus dem man Lack macht.
    Bald
erreichte der Zug die Stelle, von der die weggeschwemmten Stämme gekommen sein
mochten. In einer Kurve im Wald zeigte sich eine Lichtung, die mit Spänen und
Bruchholz übersät war. In der Mitte lag ein Stapel Dreimeterstämme. Hier
bremste der Lokomotivführer. Der Zug blieb ruckartig stehen, leicht geneigt in
dem großen Bogen der Kurve.
    Die
Lokomotive stieß ein paar kurze bellende Pfiffe aus, und jemand rief etwas.
Auch ohne diese Signale wußten die Reisenden, daß der Lokomotivführer den Zug
angehalten hatte, um Holz für die Feuerung aufzunehmen.
    Die Türen
der Waggons öffneten sich. Auf den Bahndamm ergoß sich eine Menge wie die
Bevölkerung einer Kleinstadt. Die Mobilisierten in den vorderen Waggons, die
stets von den gemeinschaftlichen Arbeiten befreit wurden, beteiligten sich auch
diesmal nicht.
    Das lose
Holz auf der Lichtung reichte nicht aus, den Tender zu füllen. Es mußten einige
der Dreimeterstämme zersägt werden.
    Die
Lokbesatzung hatte ein paar Sägen mitgenommen. Diese wurden an Interessenten
verteilt, die zu zweien arbeiteten. Auch der Professor und sein Schwiegersohn
bekamen eine Säge.
    Aus den
Türen der vorderen Waggons schoben sich fröhliche Soldatengesichter. Die jungen
Burschen, die noch nie im Feuer gewesen waren, Schüler der höheren Klassen von
Marineschulen, schienen irrtümlich im gleichen Waggon zu sein wie die
finsteren Arbeiter und Familienväter, die auch noch kein Pulver gerochen hatten
und kaum militärisch ausgebildet waren. Sie lärmten und alberten ebenso wie die
etwas älteren Matrosen, um nicht nachdenken zu müssen. Sie alle spürten, daß
die Stunde der Prüfung nahe bevorstand.
    Scherzbolde
begleiteten die Holzsäger und Holzsägerinnen mit schallenden Spottreden: »He,
Opa! Sag doch einfach, du bist ein Säugling und die Mama hat dich noch nicht
entwöhnt und du bist untauglich zu körperlicher Arbeit. He, Mawra! Paß auf, daß
sie dir nicht den Rocksaum absägen, sonst kriegst du Zugluft. He, Jungsche,
geh nicht in den Wald, nimm lieber mich zum Mann.«
     
    Im Wald
standen ein paar Sägeböcke aus kreuzweise eingerammten Pfählen. Doktor Shiwago
und sein Schwiegervater suchten sich einen freien, um zu sägen.
    In dieser
Frühlingszeit kam die Erde unter dem Schnee fast genauso wieder zum Vorschein,
wie sie ein halbes Jahr zuvor darunter verschwunden war. Der Wald dampfte von
Feuchtigkeit, und die Erde lag voller Vorjahrslaub wie ein unaufgeräumtes
Zimmer, in dem jemand Quittungen, Briefe und Papiere aus vielen Lebensjahren
zerrissen und nicht weggefegt hat.
    »Nicht so
schnell, sonst werden Sie müde«, sagte der Arzt zu seinem Schwiegervater, zog
die Säge immer langsamer und schlug

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