Boris Pasternak
dann eine Rast vor.
Durch den
Wald schallte der heisere Klang der anderen Sägen, die sich bald im Takt, bald
ungleichmäßig bewegten. Irgendwo in weiter Ferne probierte eine erste Nachtigall
ihre Stimme. In noch längeren Intervallen pfiff eine Schwarzamsel, als wollte
sie eine verstopfte Flöte durchblasen. Sogar der Dampf aus dem Lokventil stieg
mit singendem Brummein gen Himmel, und es hörte sich an wie Milch, die im
Kinderzimmer auf dem Spirituskocher überläuft.
»Du
wolltest noch etwas mit mir besprechen«, erinnerte Professor Gromeko seinen
Schwiegersohn. »Weißt du noch? Wir fuhren durch das Hochwasser, die Enten flogen
auf, da hast du gesagt: >Ich muß etwas mit Ihnen besprechen<.«
»Ach
richtig. Aber wie soll ich das so kurz sagen?
Schauen
Sie, wir fahren immer tiefer in das Land hinein ... Die ganze Region hier ist
in Aufruhr. Wir sind bald am Ziel. Was wir dort vorfinden, wissen wir nicht.
Wir müssen für alle Fälle eine Absprache treffen. Ich rede hier nicht von
Überzeugungen. Es wäre absurd, sie jetzt in einem Fünfminutengespräch im
Frühlingswald zu erörtern oder festlegen zu wollen. Wir kennen einander gut.
Wir drei, Sie, ich und Tonja, bilden in unserer Zeit mit vielen anderen eine
Welt, und wir unterscheiden uns nur in dem Grad, in dem wir sie begreifen. Aber
das meine ich nicht. Das ist ganz klar. Nein, wir müssen uns absprechen, wie
wir uns unter diesen oder jenen Umständen verhalten sollen, damit wir nicht
füreinander erröten und uns schämen müssen.«
»Schon
gut, ich habe verstanden. Mir gefällt deine Fragestellung. Du hast genau die
richtigen Worte gefunden. Dazu will ich dir etwas sagen. Erinnerst du dich an
die Nacht, in der du mir das Flugblatt mit den ersten Dekreten brachtest, im
Winter, im Schneesturm? Darin war alles so unglaublich kompromißlos, so
verlockend geradlinig. Aber solche Ideen in ihrer ursprünglichen Reinheit
leben ausschließlich in den Köpfen ihrer Schöpfer und auch da nur am ersten Tag
ihrer Proklamierung. Das Jesuitische der Politik kehrt schon am zweiten Tag das
Innere nach außen. Was soll ich dir sagen? Diese Philosophie ist mir fremd.
Diese Macht ist gegen uns. Bei diesem Umbruch hat mich niemand um Erlaubnis
gefragt. Aber man hat mir vertraut, und was ich getan habe, selbst wenn unter
Zwang, verpflichtet mich.
Tonja will
wissen, ob wir nicht zu spät kommen, um noch Gemüsebeete anzulegen, ob wir die
Zeit der Saat nicht versäumen. Was soll ich ihr antworten? Ich kenne die
hiesigen Böden nicht. Wie sind die klimatischen Bedingungen? Der Sommer ist zu
kurz. Reift hier überhaupt etwas?
Gut, aber
machen wir etwa diese weite Reise, um Gemüse anzubauen? Hier hilft uns der
Spruch >Er geht sieben Werst, um Tee zu trinken< nicht weiter, denn es
sind ja leider drei- oder viertausend Werst. Nein, um ehrlich zu sein, unsere
Reise hat einen anderen Zweck. Wir wollen den Versuch machen, zeitgemäß unser
Leben zu fristen, und bei der Verschleuderung unserer großväterlichen Wälder,
Maschinen und Inventarstücke irgendwie mittun. Nicht, um unser Eigentum
wiederzubekommen, sondern um es zu verschwenden, um uns an der
vergesellschafteten Vergeudung Tausender Rubel zu beteiligen und dabei von ein
paar Kopeken zu existieren, und das alles in zeitgemäßer, noch nicht im
Bewußtsein verankerter, chaotischer Form. Und wenn du mich mit Gold aufwiegst,
ich würde das Werk in den alten Verhältnissen nicht geschenkt nehmen. Das wäre
genau so irrsinnig wie nackt herumzulaufen oder seine Bildung zu vergessen.
Nein, die Geschichte des Eigentums in Rußland ist zu Ende. Wir Gromekos haben
uns schon in der vorigen Generation von der Erwerbsleidenschaft verabschiedet.«
Die Luft
war so schwül und stickig, daß Juri Shiwago nicht schlafen konnte. Sein Kopf
auf dem durchnäßten Kissen war schweißnaß.
Behutsam
ließ er sich von der Pritsche herabgleiten und öffnete leise, um niemanden zu
wecken, die Waggontür.
Ein Geruch
von Feuchtigkeit schlug ihm ins Gesicht, klebrig wie ein Spinnengewebe im
Keller. Nebel, dachte er. Nebel. Der Tag wird wohl glühend heiß. Darum atmet es
sich so schwer, darum fühlt man sich so bedrückt.
Bevor er
auf den Bahndamm hinunterstieg, stand er ein Weilchen in der Tür und horchte in
die Runde.
Der Zug
hielt auf einer sehr großen Station, die sicherlich ein Knotenpunkt war. Die
Waggons waren von Stille und Nebel umgeben und von einer Art Nichtsein, einer
Verlassenheit, als wären sie von allen vergessen, ein Zeichen
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