Boris Pasternak
dafür, daß sie
bei der Einfahrt hielten und zwischen ihnen und dem entlegenen Bahnhofsgebäude
sich ein endloses Netz von Gleisen hinzog.
In der
Ferne waren zwei Arten von Geräuschen schwach zu hören.
Hinten,
von wo sie gekommen waren, tönte ein gleichmäßiges Platschen, als würde dort
Wäsche gespült oder der Wind schlüge eine nasse Fahne gegen den Flaggstock.
Von vorn
tönte ein Grollen, das den kriegserfahrenen Arzt zusammenzucken und genauer
hinhören ließ.
Ferngeschütze,
erkannte er an dem gleichmäßigen, geruhsam dahinrollenden Grummein in einem
tiefen, verhaltenen Ton.
So ist
das, wir haben die Front erreicht, dachte er kopfschüttelnd und sprang vom
Waggon auf den Erdboden.
Er ging
ein paar Schritte in Fahrtrichtung. Nach den beiden nächsten Waggons warder Zug
zu Ende. Die Lokomotive und die vorderen Waggons fehlten.
Deshalb
haben sie gestern so mutig getan, dachte der Arzt. Sie müssen gefühlt haben,
daß sie am Ziel gleich vom Zug aus ins Feuer geworfen werden.
Er umging
die Spitze des Zuges, um die Gleise zu überqueren und den Weg zum Bahnhof zu
suchen. Aber da stand wie aus der Erde gewachsen ein Posten mit Gewehr. Er
sagte halblaut: »Wohin? Passierschein!«
»Was ist
das für eine Station?«
»Gar
keine. Und wer bist du?«
»Ich bin
Arzt, aus Moskau. Ich reise mit meiner Familie in diesem Zug. Hier mein
Dokument.«
»Behalt
deinen Wisch. Ich bin doch nicht blöde, daß ich im Dunkeln Papiere les und mir
die Augen verderb.
Siehst
doch, was für ein Nebel. Außerdem seh ich auch ohne Dokument auf eine Werst,
was für ein Arzt du bist. Da, deine Ärzte ballern mit Zwölfzoll-Kanonen. Am
besten wär's, dich gleich abzuknallen. Aber so weit sind wir noch nicht. Marsch
zurück, solang du noch heil bist.«
Er hält
mich für einen andern, dachte Juri Shiwago. Zu diskutieren wäre sinnlos.
Wirklich, am besten gehe ich, bevor es zu spät ist.
Er schlug
die entgegengesetzte Richtung ein.
Der
Geschützdonner hinter ihm verstummte. Dort war Osten. Im Nebeldunst ging die
Sonne auf und blickte trüb durch die Schwaden, wie Nackte im Dampfbad durch die
seifigen Dampfwolken schimmern.
Der Arzt
ging den Zug entlang und dann weiter. Seine Füße versanken immer tiefer im
lockeren Sand.
Er näherte
sich dem gleichmäßigen Platschen. Das Gelände senkte sich. Nach ein paar
Schritten blieb er vor verschwommenen Umrissen stehen, denen der Nebel eine
unnatürliche Größe verlieh. Noch ein Schritt, und er sah an Land gezogene Boote
mit dem Heck aus dem Nebel tauchen. Er stand am Ufer eines breiten Stroms,
dessen träger Wellengang langsam und müde gegen die Bordwände der Fischerboote
und gegen die Bretter der Anlegestege platschte.
»Wer hat
dir erlaubt, dich hier herumzutreiben?« fragte ein anderer Posten und löste
sich vom Ufer.
»Was ist
das für ein Fluß?« entfuhr es dem Arzt, der nach der jüngsten Erfahrung um
nichts auf der Welt hatte fragen wollen.
Statt
einer Antwort steckte der Posten eine Signalpfeife in den Mund, aber er kam
nicht dazu, sie zu benutzen. Der erste Posten, den er herbeipfeifen wollte und
der, wie sich zeigte, dem Arzt gefolgt war, trat auf seinen Kameraden zu. Beide
sprachen miteinander.
»Da gibt's
nichts zu überlegen. Den Vogel erkennt man am Flug. >Was ist das für eine
Station, was ist das für ein Fluß?< Damit will er bloß ablenken. Was meinst
du, knallen wir ihn gleich ab oder erst in den Waggon?«
»Ich
finde, erst in den Waggon. Soll der Chef entscheiden. Ausweis«, blaffte der
zweite Posten und nahm vom Arzt eine Handvoll Papiere entgegen.
»Paß auf
ihn auf, Landsmann«, sagte er zu irgend jemandem und ging mit dem anderen
Posten über die Gleise zur Station.
Ein Mann,
der im Sand gelegen hatte, offensichtlich ein Fischer, räusperte sich und
richtete sich auf.
»Dein Glück,
daß sie dich zum Chef bringen wollen. Vielleicht ist das deine Rettung, guter
Mann. Aber nimm's ihnen nicht übel. Sie tun nur ihre Pflicht. Jetzt ist die
Zeit des Volkes. Vielleicht wird's später mal besser. Einstweilen aber - reden
wir nicht davon. Du siehst ja, sie haben sich geirrt. Sie suchen nämlich
irgendwen. Und nun haben sie gedacht, du bist es, du bist der Verbrecher gegen
die Arbeitermacht, und sie haben dich erwischt.
Irrtum. Du
mußt unbedingt zusehen, daß du zum Chef kommst. Mit denen gib dich gar nicht
ab. Das sind welche mit Bewußtsein, ein Elend, Gott soll schützen. Das kostet
die keine Kopeke, dich umzulegen. Wenn sie sagen, komm, dann geh
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