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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Frauen, die sich zu
Fuß bewegten, beladen mit Bündeln, Säcken und Säuglingen, hatten keine Milch
mehr, waren abgekämpft und halb wahnsinnig, sie warfen unterwegs ihre Kinder
weg, schüttelten das Mehl aus den Säcken und kehrten um.
    Besser ein
schneller Tod als langes Verhungern. Lieber dem Feind in die Hände geraten als
den Raubtieren des Waldes in die Zähne.
    Andere,
stärkere, zeigten Musterbeispiele an Ausdauer und Tapferkeit, wie die Männer
sie nicht kannten. Swirid hatte noch vieles mitzuteilen. Er wollte den
Partisanenführer warnen vor der drohenden Gefahr eines neuen Aufruhrs im
Lager, gefährlicher als der unterdrückte, doch er fand keine Worte, denn die
Ungeduld Liweris, der ihn gereizt zur Eile trieb, raubte ihm endgültig die
Rednergabe. Liweri unterbrach ihn immer wieder, nicht nur weil sie ihn auf der
Straße erwarteten und winkten und riefen, sondern weil er in den letzten beiden
Wochen oft auf diese Themen angesprochen worden war und all dies wußte.
    »Treibe
mich nicht, Genosse Natschalnik. Ich kann auch so schon nicht gut reden. Mir
bleibt das Wort in den Zähnen stecken, und ich ersticke daran. Was will ich dir
sagen? Geh zum Treck, zu den Flüchtlingen, und sag den Tschaidonfrauen* [* Die
alteingesessenen Sibirier bezeichnen sich selbst als Tschaidon], was Sache ist.
Die sind ja so runtergekommen. Ich frage dich, was haben wir: >Alle Mann
gegen Koltschak!< oder eine Weiberschlacht?«
    »Mach's
kurz, Swirid. Du siehst ja, sie rufen mich. Spann mich nicht auf die Folter.«
    »Und dann
noch diese Kurpfuscherin Brummkreisel, weiß der Köter, wer das Weib ist. Sie
hat gesagt, man soll sie als Veteranin zu dem Vieh lassen.«
    »Veterinärin,
Swirid.«
    »Was sag
ich denn? Ich sag ja, das Weib will die Tiere als Veteranin von den Seuchen
kurieren. Das kann doch nicht so weitergehen mit deinem Vieh, sie ist ja eine
Altgläubige geworden, die nichts von den Popen hält, sie liest für die Kühe
Messen, bringt immer mehr Flüchtlingsfrauen vom richtigen Weg ab. Ihr seid selber
schuld, sagt sie denen, das kommt davon, wenn man mit gerafften Röcken hinter
der roten Fahne herläuft. Nächstes Mal bleibt lieber zu Hause.«
    »Ich
verstehe nicht, von was für Flüchtlingsfrauen sprichst du? Von unseren
Partisanenfrauen oder von noch anderen?«
    »Natürlich
von den anderen. Von den neuen, aus anderen Gegenden.«
    »Aber es
war doch angeordnet, die sollen in das Dorf Dwory bei der Mühle an der
Tschilimka. Wie kommen die überhaupt hierher?«
    »Von
wegen, Dorf Dwory. Dein Dwory ist eine einzige Brandstätte. Die Mühle ist
verbrannt und alles Drumherum auf dem Rodeland auch. Wie die Frauen an die
Tschilimka kamen, haben sie gesehen, alles leer und kahl.
    Da hat die
Hälfte den Verstand verloren, fürchterlich geheult und ist zurück zu den
Weißen. Die andern haben die Deichsel umgedreht und sind hierher zu uns mit dem
ganzen Treck.«
    »Durch den
Urwald, durch Sumpf und Morast?«
    »Wozu sind
denn Äxte und Sägen da? Wir haben doch Männer hingeschickt, um sie zu
beschützen und ihnen zu helfen. Eine dreißig Werst lange Straße haben sie
geschlagen. Auch Brücken gebaut, diese Bestien. Da sage einer noch, das wären
bloß Weiber. Diese armen Weiber schaffen in drei Tagen mehr, als du dir
vorstellen kannst.«
    »Du bist
mir einer! Da freust du dich noch, du Stute, dreißig Werst Straße. Das kommt
doch Wizyn und Kwadri entgegen. Nun ist der Weg in die Taiga offen. Da können
sie sogar mit Artillerie anrücken.«
    »Eine
Sperre. Stell eine Sperre auf, und die Sache hat sich.«
    »Mit
Gottes Hilfe wäre ich da auch selber draufgekommen.«
     
    Die Tage
wurden kürzer. Schon um fünf war es dunkel. Zu Beginn der Dämmerung überquerte
Doktor Shiwago die Straße an der Stelle, wo sich dieser Tage Liweri mit Swirid
gestritten hatte. Der Arzt wollte ins Lager. Kurz vor der Lichtung mit der
Anhöhe, auf der die Eberesche stand, die als Grenzmarke des Lagers galt, hörte
er die zänkische Stimme von Brummkreisel, seiner Konkurrentin, wie er die
Quacksalberin scherzhaft nannte. Mit kreischender Stimme sang sie etwas
Fröhliches, Übermütiges, wahrscheinlich ein Scherzliedchen. Sie hatte Zuhörer,
denn ab und zu unterbrach sie Gelächter von Männern und Frauen. Danach war
wieder alles still. Vielleicht hatten sich ihre Zuhörer entfernt.
    Sie sang
jetzt anders, für sich und aus vollem Halse, da sie sich allein wähnte. Shiwago
ging in der Dämmerung langsam und vorsichtig, um nicht in ein Sumpfloch

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