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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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waren längst nicht so flink wie die der gelernten Schneiderinnen. In
der Werkstatt wurden nur Militärsachen genäht, wattierte Hosen, Steppjacken und
Windblusen, aber auch Sachen, wie Shiwago sie schon im Partisanenlager gesehen
hatte, närrisch aussehende Pelzmäntel aus verschiedenfarbigen Hundefellen. Die
Amateurschneiderinnen bogen mit ungeschickten Fingern die Säume um und schoben
sie unter die Nadel der Maschine, sie kamen mit der ungewohnten Kürschnerarbeit
nur schwer zurecht.
    Shiwago
klopfte ans Fenster und machte Zeichen, man möge ihn einlassen. Mit ebensolchen
Zeichen wurde ihm geantwortet, daß Privataufträge nicht angenommen würden.
Shiwago ließ nicht locker, wiederholte seine Gesten und beharrte darauf, man
möge ihn einlassen und anhören. Ablehnende Gesten gaben ihm zu verstehen, man
habe eilige Arbeiten, er solle sich entfernen und nicht länger stören. Eine der
Schneiderinnen zeigte ein verständnisloses Gesicht, streckte ihm verdrossen die
Hände entgegen und fragte mit den Blicken, was er denn eigentlich wolle. Mit
dem Zeige- und dem Mittelfinger machte er die Schnipp-Schnapp-Bewegung einer
Schere. Sie verstand ihn nicht, glaubte an eine Anstößigkeit oder er wolle sie
necken oder hänseln. Mit seiner abgerissenen Kleidung und dem seltsamen
Benehmen erweckte er den Eindruck eines Kranken oder Verrückten. Die
Schneiderinnen kicherten und lachten und fuchtelten mit den Händen, um ihn vom
Fenster wegzujagen. Schließlich kam er auf die Idee, über den Hof des Hauses
hineinzugelangen, fand die Tür zur Werkstatt und klopfte an den Hintereingang.
     
    Ihm
öffnete eine bejahrte Schneiderin mit dunklem Gesicht, in einem dunklen Kleid,
eine strenge Frau, vielleicht die Chefin des Unternehmens.
    »Na, so
was Aufdringliches! Das ist ja die reinste Strafe. Los, schnell, was wollen
Sie? Ich hab keine Zeit.«
    »Eine
Schere brauche ich, wundern Sie sich nicht. Ich möchte sie mir für ein paar
Minuten ausbitten. Ich will mir in Ihrer Gegenwart den Bart abschneiden, dann
gebe ich sie Ihnen mit Dank zurück.«
    In den
Augen der Schneiderin zeigte sich mißtrauische Verwunderung.
    Es war
deutlich zu sehen, daß sie am Geisteszustand dieses Mannes zweifelte.
    »Ich komme
von weit her. Bin eben erst in der Stadt eingetroffen, und ich bin ganz
zugewachsen. Ich möchte mir die Haare schneiden. Kein einziger Friseurladen hat
offen. Ich würde es ja selber tun, aber ich habe keine Schere. Borgen Sie mir
bitte eine.«
    »Gut. Ich
schneide Ihnen die Haare. Aber wenn Sie etwas anderes im Sinn haben, irgendeine
Hinterlist, eine Veränderung Ihres Aussehens zur Tarnung, etwas Politisches,
dann gehen Sie lieber. Ihretwegen wollen wir nicht unser Leben riskieren, dann
melden wir Sie bei der zuständigen Stelle. Die Zeiten sind jetzt so.«
    »Ich bitte
Sie, was für Befürchtungen!«
    Die
Schneiderin ließ Doktor Shiwago hinein, führte ihn in ein Seitenstübchen, das
nicht größer war als eine Kammer, und gleich darauf saß er auf einem Stuhl wie
beim Friseur, eingehüllt in ein straff um den Hals gebundenes und hinter den
Kragen gestopftes Laken.
    Die
Schneiderin ging ihr Gerät holen und kehrte mit einer Schere, einem Kamm,
mehreren Schneidemaschinen verschiedener Größe, einem Riemen und einem
Rasiermesser zurück.
    »Ich hab
im Leben schon alles durchprobiert«, erklärte sie, als sie ihn darüber staunen
sah, daß sie alle diese Dinge zur Hand hatte. »Ich war auch Friseurin. Im
letzten Krieg hab ich als Krankenschwester Rasieren und Haareschneiden gelernt.
An den Bart gehen wir erst mal mit der Schere ran, dann rasieren wir sauber
nach.«
    »Die Haare
bitte möglichst kurz.«
    »Ich geb
mir Mühe. Intelligente Menschen, aber sie stellen sich unwissend. Jetzt geht's
doch nicht mehr nach Wochen, sondern nach Dekaden. Heute haben wir den
Siebzehnten, und an den Tagen mit der Sieben haben die Friseure frei. Als ob
Sie das nicht wüßten.«
    »Wirklich
nicht. Warum sollte ich mich verstellen? Ich sag Ihnen doch, ich komme von weit
her. Ich bin nicht von hier.«
    »Stillhalten,
nicht so rucken, sonst schneid ich Sie noch. Sie sind also fremd hier? Wie sind
Sie hergekommen?«
    »Auf
meinen zwei Beinen.«
    »Auf der
großen Straße?«
    »Teilweise,
den Rest längs der Eisenbahn. Da sind lauter Züge im Schnee steckengeblieben!
Alle möglichen, Luxuszüge, Eilzüge.«
    »Hier ist
nur noch ein Stückchen. Das nehmen wir weg, und fertig.
Familienangelegenheiten?«
    »Nein,
keine Familienangelegenheiten! Im Auftrag

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