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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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der früheren Vereinigung der
Kreditgenossenschaften. Ich bin Reiseinspektor. Ich sollte überall Revisionen
machen. Weiß der Teufel wo alles. Da bin ich in Ostsibirien hängengeblieben.
Keine Möglichkeit zur Rückreise. Keine Züge. Ich mußte zu Fuß gehen, was blieb
mir übrig? Anderthalb Monate war ich unterwegs. Was ich da alles gesehen hab,
das kann ich mein Lebtag nicht erzählen.«
    »Das ist
auch besser so, ich sag's Ihnen im guten. So, hier haben Sie einen Spiegel.
Strecken Sie die Hand unterm Laken hervor und halten Sie ihn fest. Schauen Sie
sich an. Wie gefällt es Ihnen?«
    »Ich
finde, Sie haben zuwenig weggenommen. Ich hätte es gern kürzer gehabt.«
    »Dann würden
die Haare zu Berge stehen. Ich sage Ihnen, erzählen Sie nichts. Heutzutage ist
es am besten, man sagt gar nichts. Kreditgenossenschaften, Luxuszüge im Schnee,
Inspektoren und Revisoren, diese Wörter sollten Sie schleunigst vergessen.
Sonst können Sie ganz schön reinrasseln! So was paßt nicht in die heutige Zeit.
Schwindeln Sie lieber, Sie wären Arzt oder Lehrer. So, der Bart ist grob
runter, jetzt rasieren wir sauber nach. Eingeseift, schnipp, schnapp!, und
schon sehen wir zehn Jahre jünger aus. Ich geh mal Wasser warm machen.«
    Wer ist
sie bloß, diese Frau? überlegte Doktor Shiwago. Ich muß ihr schon mal begegnet
sein, ich kenne sie doch. Vielleicht erinnert sie mich auch an jemanden. Aber
an wen zum Teufel?
    Die
Schneiderin kam wieder herein.
    »So, jetzt
wird rasiert. Ja, wie gesagt, es ist am besten, kein unnötiges Wort zu
verlieren. Eine alte Wahrheit. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Züge für
Dienstreisende und Kreditgenossenschaften! Denken Sie sich lieber aus, Sie
wären Arzt oder Lehrer. Was Sie alles erlebt haben, das behalten Sie schön für
sich. Wen wollen Sie heutzutage damit verwundern? Wie ist das Messer?«
    »Es kratzt
ein wenig.«
    »Ja, es
kratzt, es muß kratzen, ich weiß. Halten Sie's aus, mein Lieber. Es geht nicht
anders. Die Haare sind lang gewachsen und grob geworden, und die Haut ist es
nicht mehr gewöhnt. Ja. Mit solchen Erlebnissen ist heutzutage kein Mensch
mehr zu verwundern. Die Leute sind abgebrüht. Wir haben eine Menge
durchgemacht. Was hier unter den Atamanen los war! Raub, Mord, Entführung. Auf
Menschen wurde Jagd gemacht. Zum Beispiel solch ein kleiner Despot, ein
Sapunow-Mann, verstehen Sie, der hatte einen Rochus auf einen Oberleutnant.
Also hat er Soldaten losgeschickt, die sollten ihm am Stadtwäldchen auflauern,
gegenüber dem Krapulski-Haus. Sie haben ihn entwaffnet und unter Bewachung nach
Raswilje gebracht. Und Raswilje, das war damals bei uns so was Ähnliches wie
heute die Gouvernements-Tscheka. Eine Richtstätte. Warum schütteln Sie den
Kopf? Weil es kratzt? Ich weiß, mein Guter, ich weiß. Aber es geht nicht
anders. Ich muß hier unten gegen den Strich schaben, und die Haare sind wie
Borsten. Störrisch. Das ist solch eine Stelle. Also, die Frau natürlich ganz
hysterisch. Die Frau von dem Oberleutnant. Kolja! Mein Kolja! Und hin zum
Obersten. Aber das ist leicht gesagt. An den kommt sie gar nicht ran. Da
braucht sie Protektion. Eine Frau aus der Nebenstraße hatte Zugang zum
Obersten, die hat sich für alle eingesetzt. Der war ein ganz humaner Mann,
nicht so wie andere, hilfsbereit. General Galiullin. Sonst überall
Selbstjustiz, Greuel, Eifersuchtsdramen. Genau wie in spanischen Romanen.«
    Sie
spricht von Lara, dachte Doktor Shiwago, aber er schwieg aus Vorsicht und
fragte sie nicht weiter aus. Und als sie sagte, »wie in spanischen Romanen«,
hat sie mich wieder sehr an irgendwen erinnert. Grade mit diesem Ausdruck, der
gar nicht hierher paßt.
    »Jetzt ist
alles natürlich ganz anders. Wollen mal sagen, Untersuchungen, Denunziationen,
Erschießungen gibt's auch jetzt noch mehr als genug. Aber von der Idee her ist
das ganz anders. Erstens, die neue Macht. Sie ist ja noch nicht lange am Ruder,
ist noch nicht auf den Geschmack gekommen. Zweitens, da kann man sagen, was man
will, sie ist für das einfache Volk, darin liegt ihre Stärke. Um von mir zu
reden, wir waren vier Schwestern. Und alle werktätig. Natürlich neigen wir zu
den Bolschewiken. Die eine Schwester ist gestorben, sie war mit einem
Politischen verheiratet. Ihr Mann war Verwalter in einem hiesigen Werk. Ihr
Sohn, mein Neffe, ist der Anführer unserer ländlichen Aufständischen, man kann
sagen, eine Berühmtheit.«
    Da kam
Shiwago die Erleuchtung. Sieh mal einer an, die Tante von Liweri, die hier

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