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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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in
aller Munde ist, die Schwägerin von Mikulizyn, Friseuse, Schneiderin, Weichenstellerin,
stadtbekannte Meisterin, die alles kann. Aber ich werde lieber schweigen, um
mich nicht zu verraten.
    »Diesen
Hang zum Volk hat mein Neffe schon als Kind gehabt. Er ist bei seinem Vater
unter Arbeitern auf dem Swjatogor Bogatyr aufgewachsen. Vielleicht haben Sie
von den Werken in Warykino gehört? Aber was mach ich da mit Ihnen! Ich bin
wirklich zu dumm! Das halbe Kinn ist glatt und die andere Hälfte stoppelig. Das
kommt vom Plaudern. Warum haben Sie nichts gesagt? Die Seife im Gesicht ist
angetrocknet. Ich mach noch mal Wasser warm. Es ist schon kalt.«
    Als Frau
Tunzewa zurückkam, fragte Shiwago: »Warykino, ist das nicht solch eine
gottverlassene Einöde mitten im Wald, die von all den Erschütterungen verschont
geblieben ist?«
    »Na, von
wegen gottverlassen. In diesem tiefen Wald haben die Leute vielleicht mehr
durchgemacht als unsereins. Durch Warykino sind irgendwelche Banden gezogen,
niemand weiß, was für welche das waren. Sie haben nicht russisch gesprochen.
Aus allen Häusern haben sie die Leute rausgeholt und erschossen. Dann sind sie
weitergezogen. Die Toten sind einfach im Schnee liegengeblieben. Das war ja im
Winter. Halten Sie doch den Kopf still, sonst komm ich noch mit dem Messer an
die Kehle.«
    »Aber Sie
haben doch gesagt, Ihr Schwager hat in Warykino gewohnt. Sind die Greuel auch
an ihm nicht vorübergegangen?«
    »Doch,
schon. Gott ist barmherzig. Er und seine Frau sind rechtzeitig dort
weggegangen. Die neue, zweite Frau. Wo sie sind, weiß ich nicht, aber daß sie
gerettet sind, steht fest. Dort waren in letzter Zeit neue Leute eingezogen.
Eine Familie aus Moskau. Zugereiste. Die sind noch früher weg. Der jüngere
Mann, Arzt und Haupt der Familie, ist spurlos verschwunden. Aber was heißt
spurlos! Das sagt man dann so, um die Leute nicht zu betrüben. In Wirklichkeit
ist er bestimmt tot, umgebracht. Sie haben lange nach ihm gesucht und ihn nicht
gefunden. Der andere Mann in der Familie, ein alter Professor für
Landwirtschaft, ist in seine Heimat zurückgerufen worden. Die Anforderung soll
direkt von der Regierung gekommen sein. Sie sind über Jurjatin zurückgereist,
bevor die Weißen das zweitemal hier waren. Schon wieder, lieber Genosse? Wenn
Sie beim Rasieren so rucken und zappeln, dann dauert's nicht lange, und der
Friseur hat seinen Kunden umgebracht. Sie verlangen ein bißchen viel.«
    Also in
Moskau sind sie!
    In Moskau!
In Moskau, hallte es bei jedem Schritt in ihm wider, als er zum drittenmal die
eiserne Treppe hinaufstieg. Die leere Wohnung empfing ihn wieder mit einem
Getümmel von springenden, fallenden, davonstiebenden Ratten. Juri Shiwago war
klar, daß er in der Nachbarschaft der scheußlichen Tiere kein Auge würde
schließen können, so erschöpft er auch war. Seine Vorbereitungen auf die
Nachtruhe begannen damit, daß er die Rattenlöcher verstopfte. Zum Glück waren
es im Schlafzimmer weit weniger als in der übrigen Wohnung, wo die Fußböden und
der untere Teil der Wände nicht so intakt waren. Aber er mußte sich beeilen.
Die Nacht rückte näher. Zwar wartete in der Küche auf dem Tisch eine halbvolle
Petroleumlampe, die vielleicht im Hinblick auf sein Kommen dort hingestellt
worden war, daneben lag eine offene Streichholzschachtel mit Streichhölzern,
zehn Stück, wie er gezählt hatte. Aber beides, Petroleum und Streichhölzer,
sollte besser aufgespart werden. Im Schlafzimmer hatte der Arzt noch ein
Nachtlämpchen mit einem Docht und Resten von Lampenöl entdeckt, das die Ratten
größtenteils ausgetrunken hatten.
    Die
Scheuerleisten standen an mehreren Stellen vom Fußboden ab, Shiwago schob
geschichtet Glasscherben hinein, die Spitzen nach unten. Die Schlafzimmertür
lag der Schwelle gut an. Sie ließ sich fest schließen, und damit war der Raum
mit den verstopften Löchern von der übrigen Wohnung gut abgetrennt. Nach etwas
über einer Stunde war Shiwago damit fertig.
    In einer
Ecke des Schlafzimmers stand schräg ein Kachelofen mit einem Sims, der nicht
ganz bis zur Decke reichte. In der Küche lag ein Dutzend Bündel Brennholz. Der
Arzt wollte Lara um zwei Arme voll berauben, er setzte ein Knie auf den
Fußboden, sammelte die Scheite auf den linken Arm, trug sie ins Schlafzimmer,
legte sie beim Ofen ab, sah nach, wie der gebaut war, und prüfte flüchtig den
Zustand. Gern hätte er die Tür zugeschlossen, aber das Türschloß funktionierte
nicht, darum klemmte er ein

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