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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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Meer
wurde manchmal als Bild für die Heilige Jungfrau gebraucht, da heißt es: Nach
dem Durchzug Israels war das Meer wieder unbegehbar, und so soll die
Unbefleckte nach der Geburt Immanuels unvergänglich sein.< Das bedeutet:
Nach dem Durchzug Israels war das Meer wieder unpassierbar, und die Jungfrau,
die den Herrn gebar, blieb unberührt. Was für Vorkommnisse sind hier
nebeneinandergestellt? Beide Ereignisse sind übernatürlich, beide gelten
gleichermaßen als Wunder. Worin haben die verschiedenen Zeiten das Wunder
gesehen, die älteste, die Anfangszeit und die weit fortgeschrittene, neue,
nachrömische Zeit?
    In dem
einen Falle teilte sich auf Geheiß des Volksführers Moses und auf einen Wink
seines Stabs das Meer und ließ ein ganzes Volk durch, ein unermeßlich großes
Volk, Hunderttausende von Menschen, und als der letzte durch war, schloß es
sich wieder und verschlang die ägyptischen Verfolger. Ein Schauspiel im Geiste
des Altertums - das Element gehorcht der Stimme des Zauberers, Massen von
Menschen wie die römischen Heere auf ihren Feldzügen, Volk und Führer, sind
sichtbare und hörbare, ohrenbetäubend hörbare Dinge.
    Im anderen
Falle schenkt eine Jungfrau — ein ganz gewöhnlicher Vorgang, auf den die alte
Welt nicht geachtet hätte — still und heimlich einem Kind das Leben, bringt
Leben zur Welt, das Wunder des Lebens, >das Leben allein<, wie er später
genannt wird. Seine Geburt ist nicht nur vom Standpunkt der Schriftgelehrten
ungesetzlich, da die Eltern nicht verheiratet sind. Sie widerspricht auch den
Gesetzen der Natur. Die Jungfrau gebiert nicht aus Notwendigkeit, sondern durch
ein Wunder, durch eine Inspiration. Das ist die gleiche Inspiration, auf der
das Evangelium, das dem Gewöhnlichen die Einmaligkeit und dem Alltag den
Festtag entgegenstellt, das Leben aufbauen will, entgegen jedem Zwang.
    Von welch
gewaltiger Bedeutung ist diese Veränderung! Auf welche Weise wurde für den
Himmel (denn man muß das mit den Augen des Himmels sehen, vor dem Angesicht des
Himmels, im geheiligten Rahmen der Einzigartigkeit geschieht das alles),
aufweiche Weise wurde für den Himmel eine menschliche Privatsache, die vom
Standpunkt des Altertums nichtig ist, der Wanderung eines ganzen Volkes
gleichgesetzt?
    In der
Welt hatte sich etwas verschoben. Es war zu Ende mit Rom, mit der Macht der
Menge, mit der gewaltsam eingetrichterten Verpflichtung, innerhalb eines Volkes
zu leben. Führer und Völker wurden Vergangenheit.
    Die
Persönlichkeit, die Verkündigung der Freiheit traten an ihre Stelle. Das
einzelne menschliche Leben wurde Gottes Wort, füllte mit seinem Inhalt den Raum
des Alls. Wie es in einem feierlichen Lied zu Maria Verkündigung lautet: Adam
wollte Gott werden und irrte, er wurde nicht Gott, doch jetzt wird Gott zum
Menschen, um Adam zum Gott zu machen (>der Mensch ist Gott, und er schafft
den GottAdam<).«
    Serafima
sprach weiter: »Ich will Ihnen noch etwas zu diesem Thema sagen. Zunächst aber
eine kleine Abschweifung. Was die Sorge um die Werktätigen betrifft, den
Mutterschutz, den Kampf gegen die Macht des leichten Gewinns, ist unsere
revolutionäre Zeit eine niedagewesene, unvergeßliche Zeit mit bleibenden
Errungenschaften. Was jedoch das Verständnis des Lebens, die Philosophie des
Glücks angeht, die gegenwärtig propagiert wird, so möchte man einfach nicht
glauben, daß das ernst gemeint ist, so lächerlich ist diese übernommene
Auffassung. Die Deklamationen über Führer und Völker könnten uns zurückbringen
in die alttestamentlichen Zeiten der Viehzüchterstämme und der Patriarchen,
wenn sie die Macht hätten, das Leben rückwärtszukehren und die Geschichte um
Jahrtausende zurückzuwerfen. Zum Glück ist das unmöglich.
    Ein paar
Worte über Christus und Magdalena. Das ist nicht aus dem Evangelium, sondern
aus den Gebeten zur Karwoche, ich glaube, für den großen Dienstag oder
Mittwoch. Aber das wissen Sie selber gut genug, Larissa Fjodorowna. Ich möchte
Ihnen nur einiges in Erinnerung rufen, nicht aber Sie belehren.
    Wie Sie wissen,
bedeutet das Wort >strast< im Slawischen vor allem Leiden, Leiden des
Herrn, der Herr, der freiwillig Leiden auf sich nimmt. Darüber hinaus wird
dieses Wort im späteren Russischen für Laster und Begierden gebraucht. >Als
Begierden die Würde meiner Seele knechteten, ward ich zum Vieh.< -
ausgetrieben aus dem Paradies, trachten wir durch Unterdrückung der Begierden
wieder hineinzugelangen< usw. Wahrscheinlich bin ich sehr verdorben,

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