Boris Pasternak
aus dem täglichen Leben
spricht, wenn er die Wahrheit im Licht der Alltäglichkeit erläutert. Dem liegt
der Gedanke zugrunde, daß der Umgang zwischen Sterblichen unsterblich ist und
das Leben symbolisch, weil voller Bedeutung.«
»Ich verstehe kein Wort. Sie
sollten ein Buch darüber schreiben.«
Nachdem Wywolotschnow gegangen
war, überkam Wedenjapin eine fürchterliche Gereiztheit. Er war sich selber
böse, daß er diesem Holzkopf einen Teil seiner geheimen Gedanken ausgeplaudert
hatte, ohne auch nur den geringsten Eindruck auf ihn zu machen. Wie es manchmal
so ist, wechselte sein Ärger auf einmal. Er vergaß Wywolotschnow völlig, als
wäre der nie dagewesen. Eine andere Begebenheit fiel ihm ein. Er führte kein
Tagebuch, doch ein- oder zweimal im Jahr notierte er in einem dicken Heft
Gedanken, die ihn besonders bewegt hatten. Er holte das Heft hervor und schrieb
mit großen deutlichen Buchstaben. Dies ist es, was er schrieb.
»Ich habe mich den ganzen Tag
über diese dumme Schlesinger geärgert. Am Morgen kommt sie herein, setzt sich
bis zum Mittag fest und langweilt mich geschlagene zwei Stunden mit dem
Vorlesen von lauter Blödsinn. Der Gedichttext des Symbolisten A. für die
kosmogonische Symphonie des Komponisten B. mit überirdischen Geistern, Stimmen
der vier Elemente und so weiter und so fort. Ich habe es lange ausgehalten,
dann konnte ich nicht mehr und habe sie angefleht zu gehen.
Auf einmal begriff ich, warum
das so mörderisch falsch und unerträglich ist, sogar im >Faust<. Das
Interesse daran ist gespielt, verlogen. Der moderne Mensch will das nicht. Wenn
ihn die Rätsel des Weltalls plagen, beschäftigt er sich mit Physik und nicht mit
Hesiods Hexametern.
Aber es geht nicht nur darum,
daß diese Formen veraltet, anachronistisch sind. Es geht nicht darum, daß diese
Feuer- und Wassergeister all das wieder trüben und verwirren, was die
Wissenschaft geklärt und entwirrt hat. Es geht darum, daß dieses Genre dem
Geist der gegenwärtigen Kunst, ihrem Wesen, ihren Beweggründen zuwiderläuft.
Diese Kosmogonien waren ganz
natürlich in der alten Welt, die vom Menschen so spärlich besiedelt war, daß er
die Natur noch nicht verstellte. Mammuts zogen herum, und die Erinnerung an
Drachen und Dinosaurier war noch frisch. Die Natur war dem Menschen so greifbar
nahe, sprang ihm so raubtierhaft und spürbar ins Genick, daß alles vielleicht
wirklich noch voller Götter war. Es waren die ersten Seiten in der Chronik der
Menschheit, ihr allererster Anfang.
Diese alte Welt fand in Rom
durch Übervölkerung ein Ende.
Rom war ein Trödelmarkt von
entliehenen Göttern und eroberten Völkern, ein Gedränge auf zwei Ebenen, auf
der Erde und im Himmel, war dreifach in sich verknotete Gemeinheit, wie eine
Darmverschlingung. Daker, Eruier, Skythen, Sarmaten, Hyperboreer, schwere Räder
ohne Speichen, in Fett gebettete Augen, Sodomie, Doppelkinne, Verfütterung
gebildeter Sklaven an Fische, analphabetische Imperatoren. Es waren mehr
Menschen auf der Welt als irgendwann später, sie erdrückten sich gegenseitig in
den Gängen des Kolosseums, und sie litten.
Und in diese Anhäufung
marmorner und goldener Geschmacklosigkeit kam der leichtfüßige und von Glanz
umhüllte, betont menschliche, absichtlich provinzielle Galiläer, und von diesem
Moment an hörten Völker und Götter auf zu sein, und es begann der Mensch, der
Mensch als Zimmermann, der Mensch als Pflüger, der Mensch als Hirt inmitten
seiner Schafherde bei Sonnenuntergang, der Mensch, der keineswegs stolz klingt,
der Mensch, der dankbar gefeiert wird in sämtlichen Wiegenliedern der Mütter
und auf den Gemälden aller Galerien der Welt.«
Die Petrowskije-Linien wirkten
wie ein Petersburger Winkel in Moskau. Zueinander passende Gebäude auf beiden
Seiten der Straße, geschmackvolle Stuckfassaden, eine Buchhandlung, eine
Lesestube, ein kartographisches Institut, ein sehr anständiger Tabakladen, ein
sehr anständiges Restaurant, davor Gaslaternen mit Mattglaskugeln auf massiven
Konsolen.
Im Winter wirkte diese Gegend
finster und unzugänglich. Hier wohnten seriöse Freiberufler, die auf sich
hielten und gut verdienten.
In einer luxuriösen
Junggesellenwohnung im ersten Stock, zu dem eine breite Treppe mit breitem
Eichengeländer hinaufführte, wohnte Viktor Komarowski. Seine Wirtschafterin
Emma Ernestowna kümmerte sich fürsorglich um alles und mischte sich dennoch in
nichts ein, sie war die Kastellanin seiner stillen Einsamkeit und führte
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