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Boris Pasternak

Boris Pasternak

Titel: Boris Pasternak Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr Shiwago
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ausgefallene Zeremonie.
    Sie
blühten und dufteten nicht nur, sondern sie verströmten ihren Geruch gleichsam
im Chor, den Zerfall damit vielleicht beschleunigend, sie teilten allen etwas
von ihrer aromatischen Kraft mit, verrichteten gleichsam eine Handlung.
    Das Reich
der Pflanzen läßt sich leicht als nächsten Nachbarn des Reichs des Todes
vorstellen. Hier, im Grün der Erde, zwischen den Friedhofsbäumen, inmitten der
aus den Beeten sprießenden Blumenschößlinge, flössen vielleicht die Geheimnisse
der Verwandlung und die Rätsel des Lebens zusammen, mit denen wir uns herumquälen.
Den aus dem Grabe auferstandenen Jesus erkannte Maria nicht und hielt ihn im
ersten Moment für den über den Friedhof gehenden Gärtner.
     
    Als der
Tote zu seinem letzten Wohnsitz in der Kamergerski-Gasse gebracht worden war,
eilten die von seinem Tode verständigten und erschütterten Freunde in die weit
offene Wohnung. Marina, von der schrecklichen Nachricht halb wahnsinnig, war
lange Zeit ganz außer sich, lag auf dem Fußboden und schlug den Kopf gegen die
Kante der langen Sitztruhe mit Rückenlehne in der Diele, auf die man den
Verstorbenen gelegt hatte, bis der bestellte Sarg einträfe. Die Freunde
brachten einstweilen das unaufgeräumte Zimmer in Ordnung. Marina war
tränenüberströmt, flüsterte etwas, schrie immer wieder auf und verschluckte
sich an den Wörtern der Totenklage, die ihr zur Hälfte gegen ihren Willen
entfuhren. Sie redete drauflos, so wie man im Volke wehklagt, ohne jemanden zu
scheuen noch überhaupt wahrzunehmen. Sie klammerte sich an den Leichnam, und es
war unmöglich, sie von ihm zu lösen, um ihn in das Zimmer zu tragen, das
aufgeräumt und von überflüssigen Möbeln befreit worden war, um ihn zu waschen
und in den eingetroffenen Sarg zu betten. All das war gestern gewesen. Heute
hatte sich ihr rasendes Leid ein wenig gelegt und einer stumpfen
Niedergeschlagenheit Platz gemacht, aber sie war nach wie vor nicht
ansprechbar, sagte nichts und wußte nichts von sich.
    Hier hatte
sie den Rest des gestrigen Tages und die ganze Nacht gesessen, ohne sich zu
entfernen. Hierher brachte ihr die minderjährige Kinderfrau Klaschka zum
Stillen und Kapka, und sie nahm die Kinder auch wieder mit.
    Marina war
umgeben von ihren Angehörigen, von Dudorow und Gordon, die mit ihr trauerten.
Auf die Bank zu ihr setzte sich ihr Vater, der leise schluchzte und laut sich
schneuzte. Hierher kamen weinend auch ihre Mutter und die Schwestern.
    Und es
waren zwei Menschen in dem allgemeinen Andrang, ein Mann und eine Frau, die
sich von den übrigen Trauergästen unterschieden. Sie drängten sich nicht in die
Nähe des Verstorbenen. Sie wetteiferten nicht in der Trauer mit Marina, ihren
Töchtern und den Freunden und ließen ihnen den Vortritt. Die beiden hatten
keinerlei Ansprüche, aber irgendwelche ganz besonderen Rechte auf den Toten.
Diese unbegreiflichen und geheimen Vollmachten, mit denen sie auf seltsame
Weise ausgestattet waren, wurden von niemandem angefochten oder in Frage
gestellt. Gerade diese beiden hatten offensichtlich von Anfang an die Sorge um
die Beisetzung übernommen und trafen ihre Anordnungen mit einer gleichmäßigen
Gelassenheit, als ob ihnen dies Genugtuung bereitete. Solche Vornehmheit fiel
allen auf und hinterließ einen seltsamen Eindruck. Es schien, daß diese beiden
Menschen nicht nur an der Bestattung, sondern auch an dem Tod Anteil hatten,
nicht etwa als Schuldige oder als indirekte Ursache, sondern als Personen, die
nachträglich ihre Zustimmung zu dem Vorkommnis gegeben, sich mit ihm abgefunden
hatten und ihm keine besondere Wichtigkeit mehr beimaßen. Einige der
Trauergäste kannten die beiden, andere konnten sich denken, wer sie waren, doch
die meisten hatten keinerlei Vorstellung von ihnen.
    Aber als
der Mann mit den forschenden und ärgerlich neugierigen schmalen Kirgisenaugen
und die ohne eigenes Zutun schöne Frau das Zimmer betraten, in dem der Sarg
stand, verließen alle, die in dem Raum waren oder auf und ab gingen, Marina
nicht ausgenommen, ohne Widerspruch, wie auf Verabredung, den Raum, machten Platz,
erhoben sich von den längs der Wände aufgestellten Stühlen und Hockern,
drängten sich in den Korridor und die Diele, und der Mann und die Frau blieben
allein hinter der angelehnten Tür wie zwei Sachkundige, die berufen waren, in
völliger Stille, ohne Störungen und von niemandem behelligt, etwas sehr
Wesentliches zu vollziehen, was unmittelbar mit der Bestattung zu tun hatte.

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